Oberhausen. . Beim Gebärdenstammtisch der Lebenshilfe sind nicht nur Gehörlose willkommen. Jeder, der die Gestensprache erlernen möchte, ist dort gern gesehen.

Mucksmäuschenstill ist es im Raum und trotzdem unterhalten sich drei Menschen mit Kursleiterin Anja Wolf: „Wer möchte eine Tasse Kaffee?“ – „Danke, ich nehme lieber Tee“ – „Ja, für mich eine Tasse Kaffee“ – lautlos, nur mit den Händen. Denn alle nehmen am Gebärdenstammtisch der Offenen Hilfen der hiesigen Lebenshilfe teil. Jeden ersten Sonntag im Monat bietet Wolf Menschen die Möglichkeit, die Gebärdensprache zu lernen und in die Welt der Gehörlosen einzutauchen.

Bevor es losgeht, begrüßt man einander mit seinem Gehörlosen-Namen – meist ein Gegenstand oder ein typisches Merkmal: „Das geht einfach schneller, sonst müssen wir den kompletten Namen mit dem Fingeralphabet buchstabieren“, erklärt Wolf. Voraussetzung für den Spitznamen sei allerdings, dass sich die Teilnehmer bereits gut kennen. Dann gebärden die Teilnehmer auch schon, was das Zeug hält: Es werden alltägliche Gesprächssituationen nachgestellt, Zahlen, Begriffe und Symbole geübt. Eine Schildkröte beispielsweise geht so: Eine Hand zur waagerechten Faust, der Daumen zeigt nach links. Die Andere umschließt die Faust von oben, der Daumen zeigt nach rechts. Beide Daumen nun im Uhrzeigersinn kreisen lassen.

„Okay“, das markiert man mit Daumen und Zeigefinger, die einen Kreis bilden. „Mama“, das Streichen über die Wange. Gebärdensprache – vieles ist logisch. „Man muss locker sein, damit die Gesten richtig gelingen“, weiß Wolf: „Es ist auch wichtig, dass man sich beim Reden ansieht, denn gebärdet wird nur bis Brusthöhe. So kann man am Besten von den Lippen lesen.“

Gebärdet wird nur bis Brusthöhe

Worte, Zeichen, Abkürzungen, man kann sich kaum vorstellen, dass sie, zu einem Bild zusammengesetzt, einen Sinn ergeben. Für Menschen, die im Umgang mit Gehörlosen geübt sind, eine Selbstverständlichkeit. „Einfach ist es überhaupt nicht – ganz im Gegenteil man muss höchst konzentriert sein und auf Kleinigkeiten achten“, sagt Wolf. Daher werden die Sätze, die ihre Finger formen, mit einer ausdrucksstarken Mimik unterstützt: „Für viele Begriffe, wie beispielsweise Pizza oder Reis gibt es mehrere Gebärden, so dass die Mundbewegungen und Mimik eine wichtige Rolle spielen.“

Man muss der Gebärdensprache nicht mächtig sein, um zu merken, wie sehr ihr dieses Thema am Herzen liegt: „Während meiner Arbeit als Integrationshelferin habe ich immer wieder gesehen, dass Gehörlose mehr Schwierigkeiten haben als andere mit einem Handicap.“ In einem Gebärdenkurs an der Volkshochschule kamen ihr und den anderen Teilnehmern dann die Idee, dass es doch auch außerhalb der VHS möglich sein muss, die Gebärdensprache zu lernen und sich mit anderen auszutauschen: „In einer Gaststätte ist es eigentlich fast unmöglich, sich zu treffen und in Gebärden zu unterhalten.“ So rief Wolf den Stammtisch ins Leben: „Jeder kann Gebärden lernen und ist bei uns willkommen. Egal, ob man sich schon mal mit dem Thema beschäftigt hat oder nicht.“ Auch Christiane Reichert, Leiterin der Offenen Hilfen, lobt ihr Engagement: „Einfach klasse, dass sie zusätzlich diese Möglichkeit ehrenamtlich anbietet. Gerne stellen wir da die Räumlichkeiten am Hauptbahnhof zur Verfügung.“

Mittlerweile können die Teilnehmer Fragen stellen, zählen und das komplette Fingeralphabet. „Man muss die Gebärden regelmäßig wiederholen, sonst vergisst man recht schnell die Handbewegungen“, weiß Ulrike Beisheim, die ihre Kenntnisse vertiefen möchte. Vor allem die Atmosphäre begeistert sie: „Hier gibt es keinen Druck, dass man schnell mitkommen muss.“ Die Faszination, die von der Gebärdensprache ausgehe, habe alle gleich gepackt. Doch Wolf wünscht sich noch weitere Teilnehmer: „Viele sind zwar interessiert, aber trauen sich dann doch nicht vorbeizukommen. Mein Traum ist, irgendwann mit genügend Teilnehmern ein Gebärdencafé zu eröffnen.“