Mülheim. Ab Herbst 1918 lähmt die Spanische Grippe das Leben in Mülheim. Die Menschen sollen zu Hause bleiben. Kinos und Bahnen sind Ansteckungsherde.
Was für uns heute das Coronavirus ausmacht, war für die Mülheimer im vergangenen Jahrhundert gleich zweimal in Form anderer Viren bedrohlich.
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Im Herbst 1918 erreicht die Spanische Grippe die Stadt an der Ruhr. Diese Influenza-Pandemie rafft Millionen Menschen in Europa hin. Am Ende fordert dieser Virus mehr Tote als der Erste Weltkrieg. Rund 30 Jahre später, im Sommer 1950, ist es die Tuberkulose, an der über 1500 Menschen in Mülheim leiden. Verglichen mit der aktuellen Zahl der Corona-Toten sind es viel mehr Menschen, die vor 70 Jahren an den Bakterien, die durch Tröpfchen übertragen werden, erkranken und sterben. Das Immunsystem stärkende Impfstoffe gab es damals wie heute nicht. Ein Rückblick zu beiden Ereignissen, die in Mülheim viel Leid hinterließen und menschliche Lücken rissen.
Der Spanischen Grippe fielen vom Herbst 1918 bis 1920 weltweit 50 Millionen und in Deutschland etwa 500.000 Menschen zum Opfer. Schaut man, wie jetzt Stadtarchivar Jens Roepstorff, in die Mülheimer Lokalpresse der letzten Tage des Ersten Weltkrieges, so stößt man auf den Hinweis, „dass sich das Gespenst der Spanischen Grippe auch in Mülheim breit macht“.
Auf öffentliche Veranstaltungen verzichten
Nicht nur mit Blick auf das Ruhrgebiet attestiert der Generalanzeiger, dass die Menschen „in einer schwer zu beschreibenden Seelenverfassung sind“. Das Ausmaß, das die Spanische Grippe auch in unserer Stadt im Herbst 1918 angenommen hatte, machte der Generalanzeiger unter anderem an den überfüllten Wartezimmern der örtlichen Ärzte fest.
Wie heute das Coronavirus führte damals die Spanische Grippe auch in Mülheim zu Schulschließungen, aber auch zur Ausdünnung von Zugfahrplänen, weil immer mehr Schüler, Lehrer und Eisenbahnbedienstete an der Spanischen Grippe erkrankt waren. Oberbürgermeister Paul Lembke forderte Erkrankte und ihre Angehörigen dazu auf, auf den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zu verzichten. Parallelen zu heute sind unverkennbar.
Die Menschen haben kaum Widerstandskräfte
Auch Theater, Kinos und Straßenbahnwagen wurden als Ansteckungsherde ausgemacht. Erkrankten wurde strenge Bettruhe und heißer Tee empfohlen. Im Anzeigenteil der Lokalzeitung wird damals unter anderem auf das Kaufangebot von Klosettpapier des an der Kohlenstraße ansässigen Händlers Hermann Siepmann und auf die freitäglichen Sprechstunden des Lungenrates Dr. Rhoden hingewiesen.
Mitte Oktober 1918 lesen die Mülheimer im Generalanzeiger, dass der Allgemeinen Ortskrankenkasse bisher nur leichte Fälle der Spanischen Grippe gemeldet worden seien. Andererseits schwächten die schlechte Versorgungslage und die belastenden Lebensverhältnisse in der Stadt die Widerstandskräfte der Menschen.
Roter Rübensaft soll Fieber senken
Erkrankten wird unter anderem Roter Rübensalat zur Senkung der grippebedingten Fieberschübe empfohlen. Zum regelmäßigen Lüften der Wohnräume, zum Gurgeln mit verdünntem Wasserstoffsuperoxyd und zur Einnahme von Calcium-Wasser wird ebenso geraten wie dazu, grundsätzlich dem Umgang mit Grippeerkrankten zu vermeiden und immer nur ins Taschentuch zu niesen.
Das Calcium-Wasser, so heißt es im Lokalblatt, könne man auch in der Suppe oder im Kaffee zu sich nehmen und seinen Körper so mit dem Kalk versorgen. Dieser stärke die Widerstandstätigkeit der weißen Blutkörperchen gegen die Grippeviren.