Mülheim. Die deutsch-türkische Koproduktion von Theater an der Ruhr und dem „Kumbaraca50“, eine Gruppe aus der jungen türkischen Theater-Szene, feiert am Donnerstag in Istanbul Premiere. Am 14. November kommt das Stück in der Regie von Roberto Ciulli am Raffelberg auf die Bühne.
Es sind die traurigen Reste der zukünftigen Zivilisation mit einer kulturverlorenen Gesellschaft, die der Zuschauer in „Economania“ vor Augen geführt bekommt. Menschen hocken auf Müllbergen und fressen sich durch Massen von im Überfluss produzierter Dinge, knabbern an Plastikstühlen, Tüten, Rohren und Kleiderfetzen. Im Rhythmus dazu erklingen Schmatzen, Rülpsen, Schluckauf und metallische Geräusche wie die Rituale einer Musik.
Anstelle von Sprache, später wird es mehr Text, sind gutturale Laute getreten, tief aus dem Inneren hervorgeholte Satzfragmente und zusammenhanglose Zahlenreihen, die für den Produktionsstand stehen könnten: „1,725 442, wir bleiben zurück“, sagt einer der armseligen Gestalten und schlägt sich selbst. Dann ertönt eine dumpfe Sirene zur Pause, doch schon bald poltern wieder die imaginären Riesen mit ihren großen Füßen von oben.
Am 14. November kommt das Stück auf die Bühne
Obwohl nie greifbar und nur subtil zu erfassen, sind es die unsichtbaren Feinde, die für Macht, Willkür und Unterdrückung stehen. Und weiter geht’s mit der Müllfresserei im Akkord, bis überraschend eine fein gekleidete Theatertruppe in Barockkostümen auftaucht. Schaffen sie es, die verrohte Gesellschaft ohne jeglichen Sinn für die Kunst mit Theaterspiel und Kultur aus ihrer ohnmächtigen Situation zu befreien? Wie das Ganze ausgeht, werden zunächst die Zuschauer in der türkischen Metropole erfahren. Denn die deutsch-türkische Koproduktion von Theater an der Ruhr und dem „Kumbaraca50“, eine Gruppe aus der jungen Theater-Szene, hat am morgigen Donnerstag in Istanbul Premiere.
Am 14. November kommt das Stück in deutsch-türkischer Sprache in der Regie von Roberto Ciulli dann am Raffelberg auf die Bühne. Die Dramaturgie liegt in den Händen von Helmut Schäfer und Matthias Flake hat die Musik dazu entwickelt und spielt selbst mit. Ein gemischtes Ensemble aus beiden Ländern haucht den armen, aber liebenswerten Figuren Leben ein. Aus Mülheim sind dabei: Petra von der Beek, Dagmar Geppert, Peter Kapusta, Steffen Reuber, Rupert J. Seidl und Ferhat Keskin als Gast.
Geschrieben hat das Stück Yiğit Sertdemir, ein junger Autor, Regisseur und Schauspieler aus Istanbul. Inhaltlich ist es angelehnt an das letzte Stück des italienischen Dramatikers Luigi Pirandello „Die Riesen vom Berge“, das ein Fragment geblieben ist, da der Autor vor der Fertigstellung 1936 starb. „Für Pirandello, der in den Jahren zuvor selber Kontakt zu Mussolini hatte, wurde der Faschismus in seinen letzten Jahren zum Alptraum“, so Roberto Ciulli. In diesem Theaterstück habe er eine mögliche Zukunftsvision entwickelt, „die sich mehr oder weniger realisierte“.
Von der Ruhr an den Bosporus
Die Brücke von der Ruhr an den Bosporus wurde bereits in den 1980er Jahren geschlagen. Das Mülheimer Ensemble war das erste deutsche Theater, das in der Türkei mit einer Theaterreise gastierte. Eine enge Kooperation mit dem Türkischen Staatstheater begann bereits 1987. In Folge gab Ciulli in Istanbul Workshops, inszenierte 1993 „Bernarda Albas Haus“ von Lorca, 1995 eine zweisprachige Aufführung von Brechts „Im Dickicht der Städte“, 2005 „Dantons Tod“ von Büchner und vor eineinhalb Jahren „Der Kleine Prinz“ von Saint-Exupéry. Umgekehrt setzt sich der Austausch mit jungen türkischen Theatern bis heute mit der „Szene Istanbul“ am Raffelberg fort. So entstand auch der Kontakt zum Ensemble „Kumbaraci50“ aus der freien Istanbuler Theaterszene, das bereits mehrmals in der Reihe am Raffelberg gastierte.
Aus dem Ensemble kam der Wunsch, ob Ciulli einen Workshop in Istanbul machen wolle: „Daraufhin habe ich vorgeschlagen, gleich eine ganze Inszenierung zu machen“, sagt Ciulli. Nach den Premieren in Istanbul am 18. September und am 14. November in Mülheim ist „Economania“ in Spielblöcken zu sehen. Parallel dazu arbeitet Ciulli an zwei weiteren neuen Inszenierungen: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugene O’Neill (Premiere 23. Okt.), Shakespeares „Wintermärchen“ (Dezember) sowie der Wiederaufnahme von „Die Stunde Amerikas“ (Okt.).