Mülheim. Zwischen 20.000 und 30.000 Menschen in NRW haben ihren Erstwohnsitz auf Campingplätzen. Das verstößt gegen das Baurecht, wurde aber über Jahrzehnte geduldet. Jetzt greift das Land ein und will, dass sich die Kommunen verstärkt um das Problem kümmern.
Gepflegte Hecken, schicke Blockhäuschen, bis zum See sind es nur ein paar Meter. Der Campingplatz am Entenfang zwischen Mülheim und Duisburg ist ein kleines Idyll - trotz seiner Lage direkt neben einer Güterzug-Strecke. Campingplatz? Kleines Dorf trifft es wohl besser: Es gibt eine Gaststätte, Möglichkeiten zum schnellen Einkauf und im Sommer eine Eisdiele.
Für rund 550 Menschen ist die Freizeitanlage die Heimat - sie haben am Entenfang ganz offiziell ihren Erstwohnsitz angemeldet. Dabei verstößt dauerhaftes Wohnen auf Campingplätzen gegen das bundesweite Baurecht, da die Plätze in Erholungsgebieten liegen, in denen eben das nicht gestattet ist. Seit Jahrzehnten wird das Dauerwohnen von vielen Kommunen in NRW toleriert. Jetzt greift das Land ein und will, dass sich die Kommunen verstärkt um dieses Problem kümmern.
Seit 38 Jahren auf dem Campingplatz
Hannelore (75) und Ferdinand Künstner (81) sehen dem gelassen entgegen. Seit 38 Jahren leben sie auf fest verankerten 40 Quadratmetern am Entenfang. Ihr Campingplatz ist betroffen, die Stadt Mülheim hat bereits die Erstwohnsitze festgestellt. "Das hatten wir alles schon, das beunruhigt uns nicht", sagt Ferdinand Künstner. Bis zu ihrem Lebensende wollen die beiden Rentner hier wohnen bleiben. Sie genießen die permanente Urlaubsstimmung, fernab vom Stress der Städte.
Der Umzug auf den Campingplatz war damals eine bewusste Entscheidung. "Wir wollten Aussteiger spielen", erinnert sich Hannelore Künstner. Mehr als umgerechnet 30.000 Euro haben sie investiert, heute sieht ihr Zuhause so aus wie ein ganz normales deutsches Wohnzimmer. Gemütlich ist es, in den Ferien kommen die Enkelkinder zu Besuch und freuen sich über Urlaub mitten im Ruhrgebiet.
Campingplatz-Betreiber reichte Petition ein
Campingplatz-Betreiber Dietmar Harsveldt bleibt in der aktuellen Situation nicht ganz so entspannt wie die Künstners. "Ich bin bestrebt, den permanenten Konflikt endlich mal zu lösen", sagt er. Der Unternehmer hat deshalb eine Petition beim Bundestag eingereicht, um eine Änderung der Bauordnung zu bewirken. Allein in Nordrhein-Westfalen leben 30.000 Menschen dauerhaft auf Campingplätzen, schätzt Harsveldt. Der Fachverband der Freizeit- und Campingunternehmer NRW gibt deren Zahl mit 20.000 bis 25.000 an.
Müssen diese Leute nun um ihre Wohnsitze bangen? Das Landesbauministerium hat die Bezirksregierungen angewiesen, zu prüfen, wo auf Campingplätzen gegen das Baurecht verstoßen wird. Nach eigenen Angaben haben drei von fünf Bezirksregierungen bereits damit begonnen, die Zahl der Betroffenen festzustellen. Das Bauministerium hat "die Behörden gebeten in ihnen bekanntwerdenden Fällen die erforderlichen ordnungsbehördlichen Maßnahmen zu ergreifen", so Sprecher Bernhard Meier. Was das konkret bedeutet, will das Land den Behörden am Ort überlassen. Allerdings gelte auch: Auch wer schon jahrelang auf einem Campingplatz wohne, habe nicht automatisch das Recht dort wohnen zu bleiben.
Stichtagsregelung in Kamp-Lintfort
In Kamp-Lintfort hat man schon entschieden. Dort stellte die Kommune mehr als 300 Erstwohnsitze fest und führte eine Stichtagsregelung ein: Wer seinen Wohnsitz vor dem 1. Januar 2011 auf dem Campingplatz angemeldet hat, darf bis zum Lebensende dort wohnen bleiben - vererben oder verkaufen ist ausgeschlossen.
Für Dietmar Harsveldt, der auch den Platz in Kamp-Lintfort betreibt, ist eine Stichtagsregelung keine dauerhafte Lösung. Er fordert eine Legalisierung der Erstwohnsitze und damit die Änderung von Paragraf 10 in der Baunutzungsverordnung. Das NRW-Bauministerium hat seine Zweifel, ob eine solche Gesetzesänderung ausreichen würde. Es könne für die Campingplätze schwierig werden, die Brandschutzverordnungen einzuhalten, sagt Meier.
In Mülheim ist noch nichts entschieden. Harsveldt vermutet, dass es auch hier auf eine Stichtagsregelung hinausläuft. Das Ehepaar könnte dann für immer am Entenfang wohnen bleiben. In einer Gemeinschaft aus netten Nachbarn. "Man hilft sich hier untereinander", sagt Hannelore Künstner. Und zum See ist es nicht weit. (dpa)