Mülheim. Geschätzte 35.000 Jecken säumten den Rosenmontagszug in der Innenstadt. Petrus hatte nach einem kurzennassen Intermezzo ein Einsehen. Polizei und Rettungsdienste verzeichnen keine größeren Einsätze. Die Besucher – die meisten von ihnen fantasievoll kostümiert – waren zufrieden.
Die Mülheimer sind eines sicherlich nicht: Zart besaitet und zimperlich. Sie trotzen den Regentropfen und reihen sich trotz Schauer trotzig entlang der Strecke auf, harren aus im Nieselregen, bis sich endlich der närrische Lindwurm blicken lässt. Und dann geht’s richtig los: ein dreifaches „Uss Mölm, helau!“
Über das Gebrülle und Gebütze vergessen die Jecken doch glatt das kühle Nass, das von oben kommt, bis es sich – anscheinend beleidigt wegen der Nichtbeachtung – von selbst verzieht. Und so rollen die 28 Wagen durch die Innenstadt, ziehen tapfer die Garden, Musikkapellen und Fußgruppen durch das Zuschauer-Spalier – den Spaß lässt sich hier niemand verderben von den paar grauen Wolken.
"Es war angenehm langweilig"
Große Augen machen die kleinen und die großen Besucher und vor allem lange Arme, als die ersten Wagen vorbeirollen und Kamelle fliegen. Nicht nur Bonbons kommen da angesegelt, auch Popcorn, Schokolade, Schlüsselbänder, Bälle und Stoffteddys. Eine erste Zwischenbilanz ziehen die Geschwister Aaron (12), Mara (9) und Jannis (6) mit einem kritischen Blick in ihre Beutel: „Da ist schon mal mehr geworfen worden, uns fehlen auf jeden Fall noch die Plastikbälle.“ Also harren sie zusammen mit Mama und Papa Bohse eine weitere Runde aus und wollen weiter schnappen, was das Zeug hält.
Ein paar Schritte entfernt schunkeln Bernadette und ihr Mann. Die Mittfünfzigerin mit der grellroten Perücke erzählt: „Wir kommen aus Oberhausen, da war gestern schon der Umzug. Der war länger und hat mir besser gefallen.“ Und auch die Offiziellen, die mittendrin dabei waren, zogen nach dem Zug Bilanz. „Es war angenehm langweilig“, berichtete Houltköpp-Karnevalist Lothar Schwarze bei der Abschlusspressekonferenz des Rosenmontagszuges aus dem rückwärtigen Stab und machte damit deutlich, dass der Rosenmontagszug ohne besondere Vorkommnisse durch die Innenstadt gerollt war. Um 17.17 Uhr wurde die City wieder für den regulären Straßenverkehr freigegeben.
"Das ist doch Pflicht"
Die Polizei hatte während des Zuges keine Einsätze gegen Randalierer. Nur zwei Fahrzeuge, die im Halteverbot gestanden hatten, mussten abgeschleppt werden. Das Deutsche Rote Kreuz musste zwei Rettungseinsätze und einen Krankentransport fahren. Hierbei handelte sich allerdings nur um zwei alkoholisierte Erwachsene und vier Personen mit Schnittverletzungen. Außerdem musste sich das Ordnungsamt zwischenzeitlich mit einem verschwundenen Jungen beschäftigen, der sich allerdings schnell wieder bei seinen Eltern einfand.
Wie viele Mülheimer insgesamt zum Rosenmontagszug gekommen waren, wollten die Veranstalter vom Hauptausschuss Groß-Mülheimer Karneval nicht schätzen. Zugleiter Ulrich Pütz stellte nur fest: „Wir haben mit etwa 35 000 Menschen gerechnet. Und diese Zahl dürfte wohl auch realistisch sein.“ Chefkarnevalist Heiner Jansen resümierte: „Das hat wirklich Spaß gemacht. Dieser Rosenmontagszug ist perfekt abgelaufen.“
Da können Tanja und Andreas nur zustimmen, sie haben den närrischen Höhepunkt zusammen mit ihrer 16 Wochen alten Tochter Emelie besucht – Ehrensache für das junge Mülheimer Paar. „Wir kommen schon seit Jahren – egal ob es regnet oder nicht. Das ist doch Pflicht“, sagt Tanja. Ganz beseelt von dem jecken Höhepunkt sind auch Angelika (66), Sonja (65) und Renate (64) – die drei Damen haben stilvoll verkleidet ihren Stammplatz an der Kreuzung Leineweber-/Eppinghofer Straße belagert. „Die Stimmung war super“, sind sie sich einig. So gut sogar, dass sie gleich noch weiterziehen – ins Haus Dimbeck, um weiter zu feiern.
Unterwegs auf dem Rosenmontagswagens der Roten Funken
Wenn einer Reise tut, dann kann er was erleben und sei es die Reise von der Kaiserstraße bis zur Schlossbrücke an Bord des Rosenmontagswagens der Roten Funken. „Es ist einfach ein tolles Gemeinschaftserlebnis, mitzufahren und so vielen Menschen eine Freude zu machen“, sind sich die Ehrensenatoren Egbert Rettinghaus, Peter Beitz und Johannes Terkatz einig, während sie die Tüten und Kartons öffnen und mit vollen Händen Popcorn, Bonbons, Lutscher, Bälle und kleine Tüten mit Salzgebäck unter das Helau schreiende und unentwegt nach Kamelle verlangenden Narrenvolk am Straßenrand bringen.
„Ich werfe immer gezielt. Davon hat man am meisten“, sagt Rettinghaus. Doch manchmal macht einem der ruckelnde Wagen oder eine Windböe einen Strich durch die Rechnung und die fliegende Süßigkeit landet doch nicht bei dem kleinen Mädchen mit dem tollen Tigerkostüm oder bei der charmant lächelnden Dame mit den Hasenohren. Na ja. Der nächste kleine Kamellejäger wartet schon und freut sich ebenso.
Karneval weckt den Jungen im Manne
Anfangs scheint Petrus nicht mit den Rosenmontagsfahrern zu sein. Doch Funken-Präsident Heino Passmann behält mit seinem närrischen Zweckoptimismus Recht. „Sobald wir losfahren, hört der Regen auf.“ So kommt es. Als der Funkenwagen um 14.30 Uhr rollt, zieht sich der Regen zurück. Was unvorhergesehen kommt, ist ein platter Reifen des Traktors, der den Gesellschaftswagen zieht. Die Funken nutzen die Zwangspause unter dem Kurt-Schumacher-Platz für eine kleine Stärkung mit Kaffee und Berliner Ballen, ehe der Ersatztraktor, der am Ende des Zuges immer mitfährt, eingetroffen ist.
Jetzt haben die Roten Funken die Rote Laterne im Rosenmontagszug. Doch das mindert den Wurfspaß der Rosenmontagsfahrer kein bisschen. Es sind noch genug Narren da. Besonders sportlich zeigt sich Ehrensenator Detlev Wysocki, der wie ein Volleyballer die Bälle ins Menschenmeer faustet und zwischendurch die prallen Popcornsäcke auf Passmanns Präsidentenplattform wirft. Der Karneval weckt eben auch den Jungen im Manne.