Mülheim. . Akteure der Theater- und Kunstgruppe „Ruhrorter“ befragten Passanten in der Innenstadt und wollen damit auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen. Das Wichtigste, sich zu verabschieden, geht in dieser kurzen Zeit gar nicht. Für viele ist die Situation nicht vorstellbar.

Im dicksten Einkaufs- und Karnevalstrubel am Samstag um 12 Uhr ziehen die „Ruhrorter“ mit ihren Aufnahmegeräten in der Innenstadt los, um Stimmen einzufangen. Sie wollen Antworten finden auf die Frage: „Was würden Sie tun, wenn Ihnen die Abschiebung droht und 15 Minuten bleiben, um ihr Leben einzupacken?“

„15 Minuten“ ist ein Aktionsprojekt der Theater- und Kunstgruppe „Ruhrorter“, das angesiedelt ist ans Theater an der Ruhr und aus verschiedenen Aktionen besteht. Rund zehn Flüchtlinge beschäftigen sich im Projekt „Zwei Himmel“ mit dem Thema „Leben als Flüchtling in Mülheim“. Auch das ist ihre Realität: Drei der Schauspieler wurden bereits in den letzten Monaten abgeschoben.

Zeitgleich mit der Umfrage laufen fünf schwarz gekleidete Projekt-Teilnehmer mit weißen Weckern über die Schloßstraße. Das schrille Klingeln ihrer Wecker durchdringt sogar die jecke Geräuschkulisse. Passanten gucken irritiert, scheinen nicht recht zu wissen, was sie von den stumm dastehenden oder schreitenden Gestalten halten sollen. „Sie spielen mit dem Wecker und verdeutlichen die Perversion der Zeit“, erklärt der Anthropologe Jonas Tinius, der das Projekt wissenschaftlich dokumentiert.

Die Dimension der Frage begreifen

Die Mülheimer reagieren ganz unterschiedlich auf die hypothetische Frage, was sie denn tun würden, wenn sie sofort das Land verlassen müssten. Sie verstehen die Dimension der Frage oft erst nach ihren ersten pragmatischen Antworten. „Was man so mitnimmt: Papiere, Geld, Kleidung.“

Auf einmal stellen sie geschockt fest: Das Wichtigste, sich zu verabschieden, geht in dieser kurzen Zeit gar nicht. Für viele ist die Situation nicht vorstellbar. Menschen mit Migrationshintergrund oder Ältere, die vielleicht Kriegszeiten erlebt haben, begreifen die Tragweite in der Regel sofort, stellt Tinius fest. Andere lassen theoretische Überlegungen gar nicht erst zu und geben Statements gegen Einwanderung ab. „Wenn ich hier nicht erwünscht wäre, würde ich sofort wieder gehen“, meint eine Frau.

Der Regisseur Adem Köstereli erzählt: „Viele von Abschiebung bedrohte Menschen leben trotzdem in der Hoffnung, dass dieser Moment nicht eintritt, und bereiten sich auf diese Situation nicht vor.“ Ein Mitglied der Gruppe habe einmal gesagt: „Ich kann nichts mitnehmen, weil ich hier nichts Wichtiges habe.“

Was würden Sie in 15 Mintuen einpacken?

„Ich würde Anziehsachen, einen Pullover, eine Hose, mitnehmen und ein bisschen etwas zu essen. Auch einen Rucksack würde ich packen und ich hätte mir Spielzeug und ein paar Spiele eingepackt, meine Kuscheltiere, den Affen und meinen Hund.“ Paula Rebekka Bakum, 7 Jahre



„Das ist aber sehr knapp. Ich wäre erst einmal überfordert. Es dauert ja schon 5 Minuten, bis man alles realisiert. Alle wichtigen Sachen, kleine Wertgegenstände und Ausweise würde ich einpacken. Mein Kind und meine Familie würde ich auf alle Fälle mitnehmen.“ Andrea Schütz



„Ich würde noch versuchen abzuhauen, wenn ich wüsste, mir steht Folter bevor. Was da jetzt los ist in Afghanistan, Syrien oder der Ukraine! Die Asylgesetze sollten liberalisiert werden. Je mehr fremde Kulturen hierher kommen, desto besser. Ich halte das für positiv!“
Marietta Cramer