Mülheim. Nach Erkenntnissen eines britischen Programmierers zeichnen jeden Programmwechsel des Nutzers auf und schicken diese Informationen an die Firmenzentrale in Korea. Die Werbebranche freut sich darüber, die Juristen empört das: Der Kauf ist kein Freibrief zurÜberwachung.

Das hätte sich George Orwell nicht besser ausdenken können: In seiner Dystopie „1984“ beschreibt der Autor eine Welt, deren Bürger jederzeit überwacht werden, bei Orwell durch den Staat. Science-Fiction? Weit gefehlt. Verschiedene Medien berichteten jetzt von den Erkenntnissen eines britischen Programmierers, der den Datenverkehr von Fernsehern der Firma LG analysiert hat. Diese „Smart-TV“-Geräte sind mit dem Internet verbunden, mit ihnen kann man sowohl normale Fernsehprogramme sehen, als auch neuere Filme über das Internet.

Der Programmierer, der sich selbst „DoctorBeet“ nennt, fand heraus, dass sein Fernseher jeden Programmwechsel auf die Minute genau aufzeichne und diese Nutzerdaten an den Firmenhauptsitz in Korea weiterleite. Unverschlüsselt und dadurch für Hacker einzusehen. Darüber hinaus, so „DoctorBeet“, würden die Titel aller per USB-Stick oder externer Festplatte angesehenen Film- und Musikdateien ausgewertet und weitergeleitet. Hintergrund ist, dass Drittanbieter aufgrund dieser Daten gezielte und auf den jeweiligen Zuschauer zugeschnittene Werbung schalten können.

Was sagt der Fachmann?

Das Sammeln von Daten – eine Praxis, die einmal mehr für einen Aufschrei in der Bevölkerung sorgen müsste. Für Ilias Mavroudis von der Mülheimer Internetagentur Crocovision manifestiert sich darin vielmehr eine Art Zeitgeist. „Es ist natürlich nicht in Ordnung, wenn so etwas ungefragt und hinter dem Rücken der Anwender passiert“, stellt Mavroudis klar. „Aber wenn Fernseher die Sehgewohnheiten aller Nutzer sammeln und abschicken, dauert es doch viel zu lange, diese Daten auszuwerten.“ Das Leben, findet der Internetexperte, sei zu kurz, um sich damit auseinanderzusetzen. „Wen interessiert schon, wann ich zu welchem Zeitpunkt ARD und wann ZDF geschaut habe?“ Allerdings gebe es auch berechtigte Gründe solch eine Datensammelwut zu kritisieren, etwa wenn es um Zahlungsdaten gehe. „Aber“, schränkt er ein, „wie will man sich effektiv dagegen wehren?“

Auch zeigt sich in seinen Augen ein Problem der heutigen Zeit: Mittlerweile seien weite Bereiche des Lebens vernetzt: „Wer nicht mehr online ist, könnte ja am Leben oft gar nicht mehr teilnehmen.“ Zum Thema Datenschutz sagt er: „Ich denke, wir Deutschen schränken uns in dieser Richtung zu sehr ein. Es wird nicht nach vorn gedacht.“ Andere Länder seien da fortschrittlicher. „Da werden neue Wege beschritten, ohne sich groß Sorgen zu machen.“ Dennoch, warnt Mavroudis, sollte man nicht kopflos alles, was im Internet passiert oder angeboten wird, mitmachen.

Was sagt der Anwalt?

„Die Datensammelei ist sowas von unzulässig“, sagt dagegen der Mülheimer Anwalt Marc Hessling. „Wer persönliche Daten erhebt, muss vorher meine Einwilligung eingeholt haben.“ Alles andere sei illegal und verstoße gegen das Datenschutzgesetz. „Diese Praxis ist nicht mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu vereinbaren.“ Der Umstand, dass die Fernsehdaten heimlich erhoben werden, mache die Angelegenheit nur noch schlimmer. „Wer davon ausgeht, dass der Kauf eines Fernsehers eine Einverständniserklärung zur Freigabe der persönlichen Daten ist, der irrt“, so Hessling weiter. „Denn man kann und muss naturgemäß nicht damit rechnen, dass man vom eigenen TV-Gerät überwacht wird.“

Ähnliche Probleme mit der Datensicherheit sieht der Anwalt bei Geräten wie dem neuen Smartphone von Apple, das per Fingerabdruck-Scan aktiviert wird, oder auch bei der gerade erschienenen Spielkonsole Xbox One. Diese misst bei angeschlossener Kamera die Gesichtsdaten des Spielers biometrisch, um ein persönliches Benutzerkonto zu erstellen. Marc Hessling: „Mit so etwas holt man sich natürlich eine Allzweck-Überwachungsmaschine ins Haus.“ Denn obwohl die Hersteller solcher Geräte immer wieder versichern, die Daten seien sicher, gebe es „keinen 100 prozentigen Schutz vor einem Missbrauch.“

Einigkeit in einem Punkt

In diesem Punkt sind sich Hessling und Mavroudi einig. „Man muss einfach darauf vertrauen, dass die Unternehmen nach den Regeln spielen.“ Allerdings sei auch bekannt, dass der US-Geheimdienst NSA manche Hersteller dazu verpflichtet, Schnittstellen für einen schnellen Zugriff einzubauen. Seinen eigenen Fernseher hat Rechtsanwalt Marc Hessling übrigens nicht an das Internet angeschlossen: „Um etwas anzuschauen, reicht mir seit 30 Jahren ein einfaches Antennenkabel.“

Immerhin: Mittlerweile hat der Elektronik-Hersteller LG auf die Vorwürfe reagiert und sie weitgehend eingeräumt. Eine Aktualisierung des geräteeigenen Betriebssystems soll nun dafür sorgen, dass künftig keine Daten mehr das heimische Wohnzimmer verlassen.