Mülheim. Ein Bestatter muss sich vor dem Gericht verantworten, weil er zur Desinfektion eine Flüssigkeit in einen Leichnam eingeleitet hat.
Es gibt Fälle, da sagt der gesunde Menschenverstand: Das ist doch kein Fall fürs Gericht, das darf doch nicht wahr sein! Und dann kommt der Fall doch genau dorthin - und alle Beteiligten kommen in der Wirklichkeit an. In der Tat ist der Ton, mit dem der Amtsrichter den Angeklagten und seinen Verteidiger befragt und zur Rede stellt, forsch, ja manchmal sogar harsch. Der Richter duldet kein Palaver; kurze, klare Aussagen. Diesen harten Ton, der für Menschen ungewohnt ist, die nicht jedem Tag in einem Gerichtssaal sitzen, bekommt auch der Pressevertreter zu hören, der zwar sein Handy ausschaltet, dabei aber kurz einen elektronischen Ton vernehmen lässt und scharf zurechtgewiesen wird: „Das ist ein Gerichtssaal und keine Telefonzelle.“
Und weiter geht es im Text eines Sachverständigengutachtens. In dem geht es um ein eher stilles Thema, die Totenruhe.
Und hier wird es juristisch. Ein Mülheimer Bestatter sitzt vor Gericht, obwohl er nach eigenem Bekunden und juristisch sekundiert von seinem Anwalt, vor etwa zweieinhalb Jahren nach bestem Wissen und Gewissen und vor allem mit dem schriftlich dokumentierten Einverständnis der Angehörigen, den Leichnam eines Verstorbenen mit 500 Milliliter einer mit Wasser verdünnten formalinhaltigen Substanz für die Aufbahrung desinfiziert und präpariert hat. Immerhin ein halber Liter. Er tat dies, wie er in einem früheren Gespräch mit der NRZ sagte: „Damit die Hinterbliebenen mit einem vernünftigen Bild von ihrem verstorbenen Angehörigen nach Hause gehen können.“
Desinfizierungsarbeit bringt Anklage ein
Doch eben diese Präparierungs- und Desinfizierungsarbeit, die nach Aussage eines anderen Bestatters eigentlich nur üblich ist, wenn Verstorbene nach Asien oder in tropische Länder überführt werden müssen, bringt dem vor Gericht stehenden Bestatter jetzt eine Anklage wegen Störung der Totenruhe ein (nach Paragraph 168 Strafgesetzbuch).
Für den Anwalt des Angeklagten ist der Vorwurf unhaltbar, weil sein Mandant erstens nach allen Regeln seiner erlernten Kunst gehandelt habe und zweitens keine Körperteile oder die Asche des Verstorbenen weggenommen habe, wie es im Paragraphen 168 als Straftatbestand beschrieben wird.
Doch hier wird es sprachlich und juristisch spitzfindig. Es geht um die Frage, ob die Eingabe der Substanz Restblut des Verstorbenen ersetzt oder ausgetauscht haben könnte und ob das dann als ein Eingriff in die gesetzlich geschützte Totenruhe gewertet werden kann.
Ergebnise der Untersuchung führten zum juristischen Nachspiel
Eine rechtsmedizinische Untersuchung war in diesem Fall erst durchgeführt worden, nachdem ein Aufsichtsbeamter im Krematorium auf dem Totenschein einen Sturz des Verstorbenen verzeichnet sah. Der hatte aber, wie sich herausstellte, mit der Todesursache nichts zu tun. Doch die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Untersuchung führten zu dem juristischen Nachspiel, das inzwischen zwei Staatsanwaltschaften und zwei Amtsgerichte beschäftigt hat. Auch das Amtsgericht Mülheim wird damit weiter betraut sein.
Denn nach einer kurzen und intensiven ersten Verhandlung waren sich Anwalt und Richter zumindest darin einig, dass das Gutachten des Sachverständigen so interpretationsfähig und interpretationsbedürftig ist, dass er bei der nächsten Verhandlung persönlich angehört werden soll.
Auf Nachfrage erklärt der Richter, übrigens in ausgesprochen konziliantem Ton, dass das schriftliche Gutachten, so wie er es verstehe, Zweifel daran lasse, ob der Bestatter doch mehr getan habe als er gesagt habe und ob er vielleicht doch gegen die Regeln seiner Kunst verstoßen haben könnte.
„Doch“, so sagt der Richter: „Ich bin Jurist und kein Fachmann für Bestattungen. Das sind in diesem Fall der Bestatter und der Sachverständige. Und deshalb müssen wir in der nächsten Verhandlung den Gutachter anhören. Und auch der angeklagte Bestatter muss die Möglichkeit bekommen, ihm Fragen zu stellen.“