Mülheim.
Während des Zweiten Weltkrieges war es streng verboten, Zerstörungen zu fotografieren. Dank einiger weniger Mülheimer, die sich in ihrer Liebe zur Heimatstadt und zur fotografischen Dokumentation ihrer Geschichte davon nicht schrecken ließen, gibt es überhaupt Bilder aus der Zeit unmittelbar nach den Luftangriffen auf Mülheim, die Zeugnis sind für das Ausmaß der Zerstörung, die insbesondere die Bombennacht vom 22. auf den 23. Juni 1943 hinterlassen hat. Fritz Zorn war einer davon, er rettete seine Leica aus den Flammen.
„Mein Vater hat sich über alles hinweggesetzt“, erinnert sich Doris Bloch-Pielsticker an ihren Papa, der 1998 im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Fritz Zorn ist vielen Mülheimern ein Begriff. Nicht nur, weil er Teil der traditionsreichen Feinkosthändler-Familie Zorn war, sondern auch, weil er sein großes fotografisches Archivar für die Mülheimer noch zu Lebzeiten öffnete – etwa in dem beeindruckend großformatigen Bildband „Schönes Mülheim. Werdegang, Zerstörung und Auferstehung einer Stadt“.
Mächtige Familienchroniken
„In der Nacht vom 22. zum 23. Juni 1943“, schreibt Zorn dort in akurater Plakatschrift, „ging das alte Mülheim unter. Aus den Trümmern entstand eine neue Stadt und eine neue Zeit.“ Zorn war selbst als Soldat im Krieg. Er hatte gerade zwei Tage Heimaturlaub, als die britischen Flieger seine geliebte Heimatstadt erstmals unter schweres Bombardement nahmen. „Ick kenn me-i Mölm ni miähr“, berichtet Zorn über das Trauma eines anonymen Mülheimers, wohl trafen diese Sätze Zorns eigenen Gefühlszustand, als er sein Mülheim in Schutt und Asche liegen sah. „Wat dousend Johr heet öberduart, iss ni miähr vol van do.“
Zorns Bilder und die, die er von anderen Mülheimer (Hobby-)Fotografen zusammengetragen hat, sind in einer Vielzahl auch in mächtigen Familienchroniken abgebildet, die Zorn in akribischer Arbeit für seine beiden Töchter zusammengestellt hat. In ihnen schildert Zorn noch detaillierter seine Erlebnisse rund um die Bombennacht:
"Kaiserstraße – totales Trümmerfeld"
„Im Hause Franke, Delle, Ecke Notweg, überlebten wir die Mülheimer Schreckensnacht. Glücklich, der unheimlichen Enge entkommen zu sein, stehen wir vor den Trümmern unserer Wohnung – umgeben von Rauch und penetrantem Phosphorgestank. Links zur Stadt tobt das Inferno. Also nach rechts, Richtung Ruhr! Delle, Bleichstraße, Friedrichstraße. Im Klönne-Stift sind die Türen geöffnet – man erwartet eintreffende Flüchtlinge. Else und Dorle können dort über Nacht bleiben.
Ich laufe zurück, vielleicht kann man irgendwo helfen. Zuerst über den Scharpenberg. Die brennenden Fachwerkhäuser verbreiten Tageshelle, es knackt und knistert pausenlos. Kein Mensch zu sehen. Weiter zur Kaiserstraße – totales Trümmerfeld. ,Ihre Schwiegereltern haben wir gesehen.’ Ich bin beruhigt und laufe zur Ruhr. Auf der Schloßbrücke: Feuerlöschzüge halten auf der Brücke bis weit nach Broich. Warten, warten. Endlich rollen sie über die Schloßstraße in die rauchumhüllte Innenstadt. Kurzer Aufenthalt am Woolworth-Haus. Dort wird mit dem Löschen begonnen.
"Chef verlängert meinen Urlaub um drei Tage"
Weiter zur Bachstraße. Obere Etage zerstört, aber unser Haus steht noch. Eingangstür und Schaufenster sind herausgeflogen. Im Laden liegen Lebensmittel zerstreut zwischen Scherben und zerbrochenen Regalen umher. Zwei Mann bieten ihre Hilfe an. Wir bringen das Nötigste in die hinter dem Laden liegende Wohnung Volkenborn und vernageln Eingang und Schaufenster notdürftig mit Brettern. Inzwischen ist es hell geworden. Rauch und Phosphorgestank erschweren das Atmen. Einsatzkommandos sind allerorts tätig.
Delle: Zwei Feuerwehrmänner helfen mir ein Kellerloch freizuschaufeln. Ich steige hinein: umsonst. Brennende Kokshaufen versperren den Weg und die Kellerdecke kann jeden Moment einstürzen. Der Turm der Paulikirche beginnt erst jetzt zu brennen. Ich treffe Else, die mir einige Butterbrote mitgebracht hat.
Schloßstraße: Inmitten der Trümmer des elterlichen Hauses steht der Tresor noch ziemlich unversehrt, aber Schloss und Eisenplatten sind verbogen und ein Öffnen ist nicht möglich. Unser Batterie-Chef kommt hier vorbei und verlängert meinen Urlaub um drei Tage.“
Bombenhagel auf Mülheim