Mülheim. .

Vor 24 Stunden hätten diese Geschichten den Puls von Alice Zagolla in die Höhe getrieben – und der war der eh schon ziemlich hoch. „Ich hatte richtig Schiss“, gibt die Essenerin zu. Mit ihren Kindern Pierre (15) und Marcia (12) fuhr sie am Vortag erstmals auf einem Tretboot der Grünen Flotte in die Schleuse Mülheim, um sich fünf Meter in die Höhe transportieren zu lassen.

„Das hat man gar nicht gemerkt, dass sie blutige Anfänger waren“, lobt Helmut Schmitz sie. Und dann schiebt der Fachmann, der die Schleuse für die Bezirksregierung Düsseldorf betreut, jene Schauergeschichten nach von Leuten, die was falsch gemacht haben, die etwa am Ufer hängenblieben, während das Wasser abfloss. „Da kippt man nicht um“, sagt Helmut Schmitz, „aber es kann jede Menge Geschirr zu Bruch gehen.“ Es sind eben fast nur Sport- und Freizeitboote, die diese Schleuse passieren.

Andere Schleusen sind vollautomatisch

Um es vorwegzunehmen: Sie streiken nicht. Ihre Kollegen, die beim Bund angestellt sind, haben die Arbeit niedergelegt. Deshalb ist die Schleuse Raffelberg dicht; dort führt eine Bundeswasserstraße lang. An der Schloßbrücke beginnt aber eine Landeswasserstraße, für die die Bezirksregierung Düsseldorf zuständig ist. Der Mülheimer Betriebshof an der Wilhelmstraße, dessen Team den Ruhrabschnitt bis Essen-Steele betreut, ist seit 39 Jahren Arbeitsplatz von Helmut Schmitz. Sachbearbeiter ist er und offiziell kein Schleusenwärter, auch wenn er diesen Begriff öfters benutzt. Denn er und seine Kollegen sind vor Ort, dirigieren die Menschen in den Booten an die richtige Stelle, damit sie bei einfließendem Wasser möglichst wenig durchgerüttelt werden. „Es kippt keiner um“, betont Helmut Schmitz wieder, „aber unerfahrene Leute können Angst bekommen.“ Die muss man aber nicht haben: „Der Schleusenwärter gibt die Sicherheit. Der ist da und guckt: Was ist da los?“

Andere Schleusen mögen vollautomatisch sein, bei der kleinen Mülheimer Schleuse muss ein Mensch die richtigen Knöpfe drücken. Und davon gibt es eine Menge: Unterwasserschützen öffnen, Tore öffnen, Ampel auf Grün stellen, Tore schließen, Unterwasserschützen schließen. . . Jeder Schritt an jeder Seite – am Ober- und am Unterhaupttor – hat einen eigenen quadratischen Knopf. Auch jedes einzelne Ampelsignal (zwei rote für lange Wartezeiten, eine rotes für kurze Wartezeiten und grünes Licht als Freigabe zur Einfahrt) hat pro Tor einen eigenen Knopf. Da muss man sich auskennen.

Ein einziges Frachtschiff passierte die Mülheimer Schleuse

In all seinen Jahren im Schleusenhäuschen kann sich Helmut Schmitz aber nur an ein einziges Frachtschiff erinnern, das die Schleuse Mülheim passierte: „Das war vor 35, 30 Jahren: ein Holländer, der Sand für ein Filterbecken brachte.“ Es sind auch die Maße der Schleuse, die sie für die Berufsschifffahrt unpassierbar machen: 5,20 Meter breit, 38 Meter lang, und Schiffe dürfen einen maximalen Tiefgang von 1,70 Meter haben. Die Weiße Flotte und „ab und zu mal ein Arbeitsponton der RWW“ sind die größten Wasserfahrzeuge, die dort durch kommen. 1124 Schleusungen waren es im vergangenen Jahr, 432 im ersten sowie 692 im zweiten Halbjahr 2012. Die Zahlen sind seit Jahren stabil: Im ersten Halbjahr 2013 gab es 436 Schleusungen.

Familie Zagolla fügt dieser Statistik zwei Schleusengänge im zweiten Halbjahr hinzu. Wobei Mutter und Kinder beim zweiten Versuch schon viel entspannter sind. Vielleicht liegt die innere Ruhe aber auch an der Erschöpfung: „Wir sind gestern zwölf Stunden gefahren. Von 10 bis 10 haben wir getrampelt“, sagt Marcia. Da ist ein weiterer Schleusengang plötzlich ein Klacks.