Mülheim. Der doppelte Abitur-Jahrgang sorgt dafür, dass immer mehr Abiturienten nicht mehr ihr Wunschfach studieren können und sich nach Alternativen umschauen müssen.

Denise Hasenbeck, Schülerin der Willy-Brandt-Gesamtschule, möchte Medizin studieren, das steht fest. Ihr Abi-Schnitt: 2,1. Grundsätzlich gut. Aber ihre Chancen auf ihr Wunschfach sind erst einmal aussichtslos, vor allem in diesem Jahr. Denn im Moment kapitulieren im Hinblick auf ihre Hoffnungen selbst Schüler mit einem Numerus Clausus von 1,1, weil ihnen zu verstehen gegeben wird, dass auch ein 1,0-Abschluss keine endgültige Sicherheit bieten würde.

Denises Strategie ist: Zunächst auf ähnliche Studiengänge bewerben, wie zum Beispiel medizinische Physik Dann vielleicht eine Ausbildung zur Chirurgisch Technischen Assistentin. Denise bleibt zuversichtlich „Viele Wege führen zum Ziel“, so sagt sie. Das ist der Plan der Neunzehnjährigen.

Durch die Umstellung von G9 auf G8 werden doppelt so viele Absolventen wie üblicherweise die allgemeine Hochschulreife entgegen nehmen dürfen.

Die Ängste

So zuversichtlich wie Denise ist aber nicht jeder gestimmt, denn der Druck auf die Abiturienten ist in diesem Jahr besonders hoch, weiß auch Ulrich Bender, stellvertretender Schulleiter des Otto-Pankok-Gymnasiums. Die Angst, dass die Zahl hinter dem Komma letztendlich maßgeblich über die eigene Zukunft entscheidet, lasse sich eben nicht leugnen. Nicht bei all der Konkurrenz in diesem Jahr

Das Ministerium

Das Landeswissenschaftsministerium aber rechnet damit, nahezu jedem Studienanwärter einen Studienplatz vermitteln zu können, so Hermann Lamberty, Pressesprecher des Ministeriums:„Wenn auch nicht immer in seinem Wunschfach oder an seiner tatsächlichen Wunschhochschule.“

Hier nimmt Lamberty vor allem auf das Jahr 2011 Bezug, als es durch den Wegfall der Wehrpflicht einen deutlich erhöhten Andrang auf die Universitäten zu verzeichnen gab. „Und diese Herausforderung kam spontan“, so Lamberty. Auf den doppelten Abiturjahrgang hingegen habe man sich weit im Voraus einstellen können. Vorbereitet hat man sich in Mülheim unter anderem mit der Gründung der Hochschule Ruhr West, eine der drei im Jahre 2009 errichteten MINT-Fachhochschulen des Landes NRW.

Die Hochschule 

Doch auch hier, so Eberhard Menzel, Präsident der Hochschule Ruhr West, seien bereits 50 Prozent mehr Bewerbungen eingegangen als zur gleichen Zeit im letzten Jahr. „Auf den von der Hochschule angebotenen BWL-Studiengang haben sich bereits 600 Studienanwärter beworben. Nur 60 jedoch können aufgenommen werden“, weiß Menzel. Die verstärkte Nachfrage bestehe auch bei generell eher unbeliebten Fächern wie beispielsweise Elektrotechnik. - Drei bis vier Mal höher sei die Nachfrage in diesen Fächern.

Ob nun ausreichend oder nicht. Neue Studienplätze wurden geschaffen. Und das zweifelt Ralf Metzing, Schulleiter des Gymnasium Broich, keineswegs an. Er hingegen sorgt sich vielmehr um die Entwicklung des Numerus Clausus (siehe Kasten) in diesem Jahr.

Nicht nur, dass einige Fächer die sonst zulassungsfrei waren, ab diesem Jahr nun zulassungsbeschränkt seien, so Metzing. Die NCs der bereits zulassungsbeschränkten Fächer werden sich wohl auch erheblich verschärfen.

Ob das der Fall sein wird, ob sich die NCs wirklich verschärfen, könne man zur Zeit keineswegs bestätigen, warnt Lamberty, der Pressesprecher des Ministeriums für Wissenschaft. Erst der allerletzte Bewerber lege den NC mit seiner Abiturdurchschnittsnote fest. Die Auswertungen hierfür seien aber alles andere als beendet.

Die Schüler

Und was sagen die eigentlich Betroffenen? Dass sie einen Studienplatz bekommen - NC und strapazierte Kapazität hin oder her - da sind sich auch die Mülheimer Schüler einig. Die Frage ist nur: wann, wo und welcher wird es letztlich sein?

Der neunzehnjährige Willy-Brandt-Schüler Till Schäfer, hat sich nach einer Alternative umgeschaut und das schon vor einem Jahr. In den doppelten Abiturjahrgang wollte er bezüglich des Studiums nicht rutschen, wenn er auch mit 2,1 eigentlich einen guten Abiturschnitt hat. Ein FSJ, ein freiwilliges, soziales Jahr, das soll es nun erst einmal sein.

Niels Broeckmann, Schüler der freien Waldorfschule möchte gerne Lehrer werden. Im Fach Deutsch und Englisch, bewirbt er sich gleichzeitig aber auch an mehreren Universitäten für das Fach Agrarwissenschaften. Der Zwanzigjährige weiß über seine Abiturdurchschnittsnote noch nicht Bescheid, ist sich aber schon jetzt im Klaren, dass er bei einem nicht allzu positiven Ergebnis, flexibel sein muss.

Aber nicht nur für die derzeitigen Abiturienten stellt der doppelte Jahrgang ein Problem dar. Auch die Altabiturienten spüren den Wechsel von G9 auf G8.

Die Zukunft

Die zwanzigjährige Altabiturientin Gina Reich beispielsweise hat 2012 die Schule mit einem Abiturnotendurchschnitt von 2,6 abgeschlossen und bereits zum vergangenen Wintersemester ein Studium im Bereich Elektrotechnik aufgenommen. Dass ihr Sportmanagement viel mehr zusagt, als Elektrotechnik, das ist ihr erst jetzt bewusst geworden. Gerne würde sie von ihrem Studium zu einer entsprechenden Ausbildung wechseln. Wegen der verstärkten Nachfrage steht für sie aber fest: „Aufgeben werde ich meinen Studienplatz nur dann, wenn mir eine Ausbildungsstelle sicher ist.“

Alle befragten Schüler sind sich sicher – der doppelte Abiturjahrgang wird es ihnen keineswegs einfacher machen, nicht in diesem Jahr und auch nicht in den darauf folgenden. „Der Überschuss wird anhalten.“ Damit spricht Till Schäfer an, was auch alle anderen befürchten. Eine realistische Prognose.