Mülheim/Essen. .
„Rate mal, wer am Telefon ist?“ – das ist die klassische Eröffnung der gewieften Betrüger für den „Enkeltrick“, auf den kürzlich eine 92-jährige Mülheimerin hereingefallen wäre, was eine aufmerksame Bankangestellte aber verhindern konnte. Denn mutmaßt der Angerufene einen Verwandten oder Bekannten, nennt den Namen gar, hat der Betrüger sein Opfer an der Angel, um Geld oder Schmuck zu ergaunern.
So geschieht es in Mülheim und Essen beinahe jeden Tag, weiß Kriminalhauptkommissar Joachim Beyer. Er ist einer der beiden Ermittler, die sich im Raubdezernat (KK 31) des Polizeipräsidiums Essen/Mülheim ausschließlich um „Straftaten zum Nachteil älterer Menschen durch überregionale Täter“ im häuslichen Umfeld der Opfer kümmert. 263 Fälle (darunter der klassische Zettel- oder Wasserwerkertrick, mit dem sich die Täter direkt an der Haustür das Vertrauen erschleichen, um sie dann in ihrer Wohnung abzulenken oder zu bestehlen) hat er schon in diesem Jahr in beiden Städten abgeschlossen und zur Staatsanwalt geschickt.
98 Prozent der Anrufe kommen aus Polen
Die meisten Fälle werden eingestellt, die Aufklärungsquote ist gering. Die „überregionalen Täter“ machen die Verfolgung schwierig. Manchmal jedoch, wenn ein ausgewähltes Opfer sich zum Schein auf den falschen Enkel, Neffen, Bekannten einlässt, und die Polizei informiert, gelingt eine Festnahme, wie kürzlich in Essen.
Es sind keine Zufallsanrufe, die Taten werden bandenmäßig geplant. „Der Enkeltrick wird nicht allein von einem Täter durchgeführt“, sagt Beyer. „Wir wissen, dass 98 % der Anrufe aus Polen kommen.“ Für den Kontaktanruf suchen sich die Täter Opfer aus, die älter sind. Kein Kevin, keine Jennifer, sondern Wilhelm oder Gertrud werden angerufen. Die Anrufer verwickeln die Seniorin – die meisten Opfer sind weiblich – in ein Gespräch, bei dem es um eine finanzielle Notlage geht. Da muss eine Unfallrechnung bezahlt, eine Ersteigerung, ein Auto angezahlt, Schulden beglichen werden. . . „Oma, kannst du mir nicht helfen, ich bin gerade in der Nähe und komme vorbei.“
"Oma, da ruft mein Anwalt an"
„Der Trick ist immer der gleiche, nur die Legenden ändern sich“, sagt Joachim Beyer. Es wird Druck aufgebaut – „Oma, da ruft mein Anwalt an, ich melde mich gleich wieder“.
Ist dem Opfer die Stimme am Telefon fremd, wird das mit schlechtem Handyempfang erklärt, dass viele Ältere nicht mehr so gut hören, spielt den Tätern in die Hände. „Da sind absolute Profis am Werk, die rufen in der Art eines Callcenters einen Senior nach dem andern an“, so Polizeisprecher Peter Elke. Die Anrufer nennt die Polizei „Logistiker“, die ihrem Opfer schon mal ein Taxi vor die Tür rufen oder wissen, welche Bank in der Nähe mittags geöffnet hat. Macht sich ein Opfer bereit, Geld abzuholen, kommen „Abholer“ ins Spiel, die das Opfer beobachten, damit der Anrufer weiß, wann er sich wieder melden muss.
Polizei geht von einer sechsstelligen erbeuteten Summe aus
Die „Abholer“ sind vorgeblich Freunde, Anwälte des „Enkels“, der ja nicht persönlich in Erscheinung treten kann. Manchmal halten sie dem Opfer das Handy ans Ohr, mit dem „Enkel“ noch in der Leitung. Die Polizei nennt sie „Hilfskräfte“, die von dem Geld nicht viel erhielten. Da Sippen hinter den hierarchisch-familiär strukturierten Banden stünden, sei sichergestellt, dass sich der „Abholer“ nicht mit der Beute davonmache.
Die Polizei schätzt, dass jährlich eine sechsstellige Summe erbeutet wird. Eine Dunkelziffer wird angenommen: Die Opfer schweigen oft aus Scham. Sie fürchten Vorwürfe der Kinder, eine Entmündigung, den Spott der Nachbarn. Zu den Opfern gerade bei Variationen des Zetteltricks gehören auch jüngere um die 50, die auf Betrugsprofis hereinfallen.
„Wenn man Anrufern sagt: Ich kenn’ Sie nicht, es ist kein Geld da, ist Ruhe“, weiß Peter Elke. Wer sich unsicher fühlt, sollte die Polizei einschalten: „Für uns sind das Notfälle.“ Die Sparkasse tauscht sich regelmäßig, auch präventiv, mit der Polizei aus. „Wir würden uns das auch von anderen Geldinstituten wünschen“, betont Beyer.