Mülheim an der Ruhr. .
30 Stunden Arbeit bei gleichem Lohn? Die Idee hat was, denkt so mancher Arbeitnehmer und wähnt sich schon halb in der Hängematte. Doch der von über 100 Wissenschaftlern, Politikern und Gewerkschaftern in einem offenen Brief formulierte Vorschlag, der zu geringerer Arbeitslosigkeit führen soll, stößt längst nicht bei allen Mülheimer Experten auf Gegenliebe.
„Unter den jetzigen Bedingungen, am Rande einer Rezession, ist das keine kluge Forderung“, sagt etwa Prof. Dr. Werner A. Halver, Dekan des Fachbereichs Wirtschaft an der Hochschule Ruhr West. Die Arbeitsproduktivität steige nicht sehr an, die Löhne aber holten auf. „Die Unternehmen sind schon höher belastet durch die Arbeitskosten; noch mehr können sie nicht auffangen.“ In den vergangenen Jahren sei die Produktivität des Einzelnen – über alle Branchen – jährlich um 1,5 % gestiegen. Dieser Gewinn sei „die Masse, die man verfrühstücken kann“, so Halver, und entspreche den Lohnsteigerungen. Wolle man nun mehr Menschen einstellen, sei das nur durch geringere Lohnzuschläge möglich.
"Wenn´s klappt, wäre es angenehm"
Michael J. Walter, Vorstandsvorsitzender der Unternehmerverbandsgruppe, lehnt die Initiative ab. Andernfalls stiegen Arbeitskosten drastisch; Folgen seien ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und ein Abbau von Beschäftigung. Die Initiatoren hätten offenbar „noch nicht mitbekommen, dass Fachkräfte händeringend gesucht werden“. Grund für Arbeitslosigkeit sei oft mangelnde Qualifizierung.
Ein Argument, das auch Ulrich Schreyer, Geschäftsführer des Diakoniewerks Arbeit und Kultur, anführt: „Das Volumen der Arbeitslosen ist nur ein Faktor; ihre Qualifikation ist ein anderer, entscheidender.“ Er sei skeptisch, dass die aufgestellte Rechnung aufgehe – „aber wenn’s klappt, wäre es angenehm“.
Falscher Zeitpunkt
Pietro Bazzoli, Betriebsratsvorsitzender bei Siemens, wünscht sich vor allem eins: „einen Blumenstrauß an Arbeitszeit-Maßnahmen“. Flexibilität sei das Gebot der Stunde; so seien für Eltern vielleicht 30 Stunden interessant, für andere Menschen hingegen 50 Stunden. Bazzoli bezweifelt, dass alle Arbeitnehmer vollen Lohnausgleich befürworten: „Die wissen schon, dass ein Unternehmen kein Sozialverband ist.“
„Für mich wäre es ein Traum“, sagt Dieter Hillebrand. Der DGB-Regionsvorsitzende hält das Ansinnen für gut, doch komme es zu einem falschen Zeitpunkt. „Im Moment spielt diese Diskussion in den Gewerkschaften keine Rolle; wir hatten aktuell so viele Krisen, da ging es vor allem um Beschäftigungssicherung.“ In den 1980-ern aber, da hätte es für Ideen wie diese eine Chance gegeben.
Apropos 80er: In denen kämpfte Ulrich Dörr an der Spitze der örtlichen IG Metall um die 35-Stunden-Woche. Und die ist noch immer sein Thema: „Sie muss flächendeckend eingeführt werden“, fordert er. Erst wenn tatsächlich in jeder Branche verlässlich nur noch 35 Stunden gearbeitet werden, sei die Zeit reif für nächste Schritte.