Mülheim.

Das vierte Sinfoniekonzert der Saison in der Stadthalle stand ganz im Zeichen von Richard Wagners 200. Geburtstag. Der „Ring des Nibelungen“ ist ein äußerst komplexes Weltendrama, dessen überzeitliche Bedeutung wegen seiner Einkleidung in die Welt der nordisch-germanischen Mythologie lange verkannt wurde.

Menschen und Götter stehen in enger Wechselbeziehung, es gibt keine „privaten“ Personen, alle sind Exponenten eines wesentlich von Schopenhauerschem Denken inspirierten Weltverständnisses. Wie dessen Elemente Handlung und Reflexion bestimmen, so sind es musikalisch die Leitmotive und ihre Metamorphosen, die im Glutofen der Wagnerschen Inspiration zu einer Art zweiter Natur verschmelzen, die den Weltenlauf gleichzeitig offenbart und bestimmt.

Verbindung der einzelnen Stücke

Kann man aus einem solchen Riesenwerk wie aus einer „Nummernoper“ Ausschnitte aufführen, deren Sinn doch nur durch ihre Einbettung in den Gesamtzusammenhang ganz erfahrbar wird? Dieses Wagnis unternahmen die vereinigten Orchester aus Bielefeld und Münster unter der Leitung von Alexander Kalajdzic und die Solisten Sarah Kuffner (Sieglinde), Hans Peter Janssens (Siegmund) und Frank van Hove (Hunding) im Sinfoniekonzert mit überzeugendem Erfolg.

Der innere Zusammenhang zwischen „Siegfrieds Rheinfahrt“ und dem „Trauermarsch“ aus der „Götterdämmerung“, auf ganz unterschiedliche Art aus mystischer Tiefe zu gewaltigen Entladungen sich steigernd, wurde schon durch den gelungenen nahtlosen Übergang zwischen beiden Stücken verdeutlicht.

„Walküre“ im ersten Akt

Der erste Akt der „Walküre“ zeigt die Entwicklung zum berühmtesten Inzest der Literaturgeschichte: Siegmund und Sieglinde fallen in Liebe zueinander und erkennen sich gleichzeitig als Zwillingsgeschwister: Eine gute Stunde Dialoge, zum Teil auch längere Monologe, von den gegensätzlichsten Emotionen getragen.

Alle drei Solisten versetzten die Zuhörer nicht nur durch ihre enormen Stimmen in Erstaunen, sondern hielten sie auch durch eindringliche Gestaltung unter Spannung, unterstützt von einem hervorragenden Orchester, das die unterschwelligen emotionalen und gedanklichen Zusammenhänge plastisch verdeutlichte. Die Zuhörer reagierten mit endlosen Bravo-Rufen und einem Jubel, wie ihn die Stadthalle nach einem klassischen Konzert wohl selten erlebt hat. Mancher fasste wohl den Vorsatz, sich jetzt doch mehr mit Wagner und dem „Ring“ zu beschäftigen. Gelegenheit dazu gibt’s in den Opernhäusern der näheren Umgebung. Was will man mehr?