Mülheim. .

Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Denn so richtig hat sich Günter Wrede noch nicht von „seiner“ Volkshochschule verabschiedet. Und sie sich nicht von ihm. Fürs Interview nimmt er in einer der Pausenecken Platz und blättert routiniert im neuen Kursprogramm. Mitarbeiter, die vorbeilaufen, grüßen ihn mit „Sie fehlen hier“ und „Tach, Chef!“. Obwohl sich Günter Wrede schon Ende September in den Ruhestand verabschiedete. Fast 20 Jahre leitete er die Bildungseinrichtung an der Bergstraße – nicht immer war das ein einfacher Job.

Als der gelernte Diplom-Ökonom am Morgen des 3. Februar 1992 seinen Dienst antrat, fand er ein Gebäude vor, dass die beste Zeit bereits hinter sich hatte. Die Teppichböden kahl gelaufen, die Technik veraltet, das Flachdach undicht. „Zug um Zug haben wir dann angefangen, zu modernisieren, den Teppich ausgetauscht, das Dach repariert und begrünt“, erinnert sich der 64-Jährige. Wenn Wrede von der Arbeit spricht, beginnt er die Sätze oft mit „wir“. So wie in den Seminaren gemeinsam gelernt wird, hatte auch der VHS-Leiter ein Team, das hinter ihm stand. Heute hält diese Mannschaft die Stellung, bis seine Stelle neu besetzt wird.

„Harte Zeiten“

„Ich kam als ehemaliger Lehrer an die VHS. Gebraucht wurde aber der Diplom-Ökonom“, sagt der Ruheständler. Mitte der Neunziger Jahre wurde die VHS umstrukturiert, da kürzte die Politik nicht nur die finanziellen Mittel, sondern auch Stellen. „Harte Zeiten.“ Die Kurse sind kostendeckend angelegt, die VHS aber stets zuschussbedürftig. Der Bedarf blieb in den vergangenen Jahren gleich, die Zuschuss-Summe aber wurde immer kleiner.

Eine Bildungseinrichtung unter diesen Bedingungen auszustatten, mit neuer Technik, sei keine einfache Aufgabe gewesen, gibt Wrede zu. Oft musste er sich unangenehme Fragen aus der Politik gefallen lassen. „Was sollen wir mit Seminaren wie ,Tanzen im Kreis’? Dabei gehören auch solche Kurse zu einem vielfältigen, breiten Bildungsangebot, das unter einem Dach gebündelt ist“, weiß Wrede und verweist auf Kundenbefragungen aus den Jahren 2002 und 2005. Die Leute empfanden genau das als wichtig.

Volkshochschulen rückten enger zusammen

Im Laufe seiner 20 Jahre Amtszeit wandelte sich das Haus nicht nur äußerlich, sondern auch inhaltlich. Mehr Sprachen, Burn-Out-Prävention, Yoga- und PC-Kure in allen Varianten – das VHS-Angebot spiegelt auch den Zustand der Gesellschaft wider. Im Laufe der Zeit rückten die Volkshochschulen im DOME-Verbund enger zusammen, Duisburg, Oberhausen, Mülheim und Essen sind wichtige Partner im Bildungsbusiness geworden.

Unter Wredes Leitung wuchsen die „Junge VHS“ und „55plus“ zu einem Fachbereich heran. „Im Laufe der Jahre wurden junge Menschen und Migranten als Zielgruppe entdeckt.“ In den Neunziger Jahren umfasste das Programm Themen wie Religion, Gewalt und Toleranz. „Der Netzwerk-Gedanke wurde vorangetrieben.“ Interreligiös und interkulturell führte er Gemeinden auf Veranstaltungen wie dem Aktionstag für Menschenrechte oder dem Tag der Religionen in der VHS zusammen.

600 Seminare stehen zur Auswahl

Die Arbeit mit den lieben Kollegen vermisst der 64-Jährige natürlich, freut sich aber darüber, mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Und heute hat Günter Wrede endlich Zeit, selbst eines der über 600 VHS-Seminare zu besuchen. „Vielleicht mache ich einen Fotokurs oder frische mein Spanisch auf.“

An den Ruhestand müsse er sich gewöhnen. Jemand, der an manchen Tagen von 10 bis 21 Uhr am Schreibtisch saß, muss langsam „entschleunigen“. „Das Spannendste ist, morgens aufzuwachen und zu merken: du hast schon Feierabend.“