Mülheim. .
„Also, ich strebe definitiv nicht an, an den Fingerspitzen zu hängen, mit den Füßen in der Luft zu baumeln und Klimmzüge zu machen“, lacht Rebekka Pax, während ihr Boulder-Freund Stephan Klose so aussieht, als wäre er nicht abgeneigt. Die beiden gehören zu einer immer größer werdenden Gruppe von „Boulderern“, Klettersportlern, die nicht in die Höhe, sondern mit allen Vieren und ohne Hilfsmittel auf der Fläche in die Breite klettern, in der Regel nicht höher als drei bis vier Meter. „Ohne Hilfsmittel ist nicht ganz richtig“, korrigiert die Mülheimerin, „wir benutzen Magnesia für unsere Hände, damit wir nicht abrutschen, und tragen spezielle rutschfeste Gummischuhe.“
Außerdem bringen die durchtrainierten Sportler eine Matte, ein „Chrashpad“, mit zum Leinpfad an der Florabrücke, wo sie an der sonnenbeschienenen Ruhrsandstein-Wand klettern. Sie trainieren immer zu zweit, denn einer muss die Matte weiterschieben, um Verletzungen zu vermeiden. Rebekka Pax beginnt mit dem Klettern und erklärt dem jungen Essener Feinheiten und Tücken der Strecke, die er noch nicht so gut kennt wie die 34-Jährige. Trotzdem arbeitet er sich einige Meter zur Seite, bevor er zu Boden springt, um sofort neuen Anlauf zu nehmen.
Gefühl für die Wand
Seit gut einem Jahr ist der sportliche Mann mit Begeisterung dabei und sagt, dass es ihm viel Spaß mache, er aber auch bald dem Alpenverein beitreten möchte, um mit dem alpinen Klettern anzufangen. „Ich wollte zuerst ein Gefühl für die Wand bekommen“, erklärt der Schwimmer und Triathlet. Griffkraft hätte bislang nicht zu seinen Stärken gehört.
Die beiden Sportler trainieren regelmäßig mit Freunden – im wesentlichen an der Ruhr oder in der Essener Boulderhalle „Citymonkey“.
Rebekka Pax erzählt, dass sie kürzlich im „Mekka“ des Boulderns war. Südlich von Paris liegt der Wald von Fontainebleau, in dem unzählige frei stehende Sandsteinfelsen aus dem Boden ragen, die Pax als „Hinkelsteine“ bezeichnet. Schon vor mehr als 100 Jahren kletterten Begeisterte darauf herum, heute gibt es dort Pfade in allen Schwierigkeitsgraden. „Dort bin ich tatsächlich sechs Stunden geklettert, was eigentlich viel zu lang ist.“ Normalerweise gehe man nach drei Stunden auf dem Zahnfleisch, brauche zwischendurch größere Pausen und habe tagelang Muskelkater, wenn man nicht sehr regelmäßig trainiere.
Keine Wettkampfsituation
Was denn das Faszinierende sei? Der 25-jährige Stephan Klose bringt es auf den Punkt. Er sei mit Leistungsschwimmen aufgewachsen, da ziehe man einfach nur seine Bahnen. Beim Bouldern mache man keinen Griff zweimal, man nehme sich Zeit, bewege sich mal ganz langsam oder springe schnell an einen Übersprung. Jede Muskelgruppe werde beansprucht, und man müsse genau überlegen, was man als nächstes tue. „Das macht einfach Spaß und, obwohl es für uns nichts mit Wettkampf zu tun hat, puscht man sich gegenseitig und möchte bestimmte Schwierigkeitsgrade beherrschen“, strahlt der Bankkaufmann und Wirtschaftsingenieurwesen-Student.
Die Nägel brechen ab und die Hände sind voller Schwielen.
Ob es denn Verletzungen und Nachteile gebe? Die erfolgreiche Roman-Schriftstellerin Pax, die schon nach kurzer Zeit Bouldern keine Rückenschmerzen mehr hatte, zeigt ihre schwieligen und getapten Hände vor.
„Letztens kam eine ältere Dame vorbei und rief entsetzt: Die schönen Nägel!“ Von gepflegten Händen und Nägeln müsse man sich verabschieden. Auch gebe es schon mal Hautabschürfungen und blaue Flecke. Wenn man nicht auf seinen Körper höre, könne es auch zu Zerrungen kommen. Aber das lerne man mit der Zeit. Die Hände lassen einen aufgeben. „Irgendwann kann man einfach nichts mehr festhalten“, lacht Rebekka Pax.