Mülheim. . Landschaftswächter wie Karin Piek durchstreifen die Ruhrauen von Mülheim, um Müllberge möglichst zu verhindern, bevor sie entstehen. Immer offener wird sie angefeindet. Die Stadt kann nicht helfen. Sie gibt ihr einen Ausweis und eine Plakette und sagt die Unterstützung des Ordnungsamts zu.
Der Montagmorgen legt eine Ahnung des Spätsommers über die Ruhrauen, es war ein warmes Wochenende. Am Fluss löst sich der Nebel auf, im Gras glitzert es feucht. Man könnte das schön finden, aber eher wird einem schlecht: Der Tau leckt auch an dreckigen Papptellern und fettigen Chipstüten, an leeren Flaschen, vollen Windeln. In kalten Feuerstellen liegt der Abfall und auf den Wegen Haufen frei laufender Hunde. „Das ist hier Krisengebiet!“, klagt Karin Piek. Wobei die Wahrheit ist: Es ist Naturschutzgebiet.
Kampfgebiet, sagen manche auch, seitdem im Frühsommer in Mülheim die Lage eskalierte. Angler gegen Umweltschützer, Hunde gegen brütende Vögel, feiernde Jugendliche gegen besorgte Landschaftswächter wie Karin Piek. Oder Werner Flaum, den eine Gruppe Unbekannter im Juni bedrohte: „Wir fesseln dich an einen Baum und schlagen dich zusammen.“ Die Stadt nahm ihre Ehrenamtlichen daraufhin für einige Wochen aus dem Dienst: Sie könne ihre Sicherheit nicht mehr gewährleisten. „Man ist hilflos“, sagt Karin Piek. Dabei verlangt das Land NRW von den Kommunen den Einsatz von Landschaftswächtern zur Pflege der Natur.
Doch die klagen über zunehmende Verrohung. Alleine Mülheim: Im März retten Tierschützer einen Graureiher – er hat einen Karabinerhaken mit Angelschnüren verschluckt. Nur eine Woche später hinterlassen Jugendliche im Brutgebiet des bedrohten Eisvogels nach einer ersten Freiluft-Party einen Haufen Scherben. Andere Feiernde werfen mit Sprengkörpern nach Schwänen. Im Mai entdecken Spaziergänger zwei tote Gänse, jemand hat sie mit umgedrehten Hälsen über einen Zaun gehängt. Beinahe täglich registrieren die Landschaftswächter abgebrochene Äste, entwurzelte Pflanzen, besprühte Bäume. Finden neue Trampelpfade zu Freiluft-Klos im Unterholz.
Die Regeln stehen fest
Dabei stehen die Regeln auf den Schildern zum „Naturschutzgebiet Ruhraue“: Auf den Wegen bleiben. Keinen Müll wegwerfen. Keine Pflanzen beschädigen. Wildlebende Tiere nicht stören. Hunde anleinen. Kein Feuer machen. Was man manchmal allerdings kaum noch lesen kann; die Tafeln sind beschmiert oder mutwillig verbogen.
Also räumen die Landschaftswächter auf: Schnapsflaschen, Einmal-Grills, Pizzakartons. „Ich bin Naturschützer, kein Müllsammler“, sagt Hans-Peter Raddatz, zuständig für die nördlichen Auen in Styrum. Nur, wer soll es sonst tun? Deshalb zieht auch Karin Piek Fischernetze unter Brücken hervor, fingert Weggeworfenes aus den Büschen, fischt entsorgte Angelutensilien aus der Ruhr. Und rudert regelmäßig zu einer Vogelinsel südlich der Schlossbrücke, um ins Wasser geworfenen Abfall aus den Nestern zu holen.
Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen
Aber dann die Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen. „Furchtbar niedergemacht“ werde sie, sagt Piek, „was ich mich nicht angeblich alles selbst kann. . .“ Ein Angler richtete sein Messer auf sie: „Ich zerschneide dir das Gesicht!“ Man hänge sie zu den Vögeln, haben sie ihr gesagt, da sei noch Platz. „Wir stehen auf der Abschussliste“, sagt die gelernte Maskenbildnerin, „man kommt an solchen Leuten nie ungeschoren vorbei.“ Piek macht weiter, radelt durch „ihr“ Gebiet, das selbst der EU als „Flora-Fauna-Habitat“ wertvoll ist, und bittet: „Sie sind doch so nett und hinterlassen keinen Müll?“
Einem Paar, das seine Campingstühle ins schützenswerte Ufergrün gestampft hat, erklärt sie freundlich, warum es der Natur damit schade. „Sie reden zu viel, das nervt“, giftet die Frau. Karin Piek reagiert nicht einmal mehr. Hebt schweigend einen Plastikbecher auf, legt ihn zu Kronkorken und Schokoladenpapier in ihren Fahrradkorb. An dieser Stelle im alten Auenwald hat sie erst gestern saubergemacht, die verbrannte Erde unter einem Berg Grillkohle kann sie indes nicht mehr retten. Wie auch die Ranken nicht, die hier dauernd abgerissen werden: Die Leute besetzen eine Lichtung.
Ein Zaun wurde abgeknipst
Ein massiver Zaun, den die Stadt in den Boden rammte, um ungewünschten Besuch fernzuhalten, wurde abgeknipst und mitsamt schwerer Bohlen ins Wasser geworfen. „Leider werden unsere Schutzmaßnahmen oft kurze Zeit später wieder verwüstet“, bestätigt Jürgen Zentgraf, Leiter des Mülheimer Umweltamtes. „Das tut uns auch finanziell weh.“ Über einen eigens angelegten Wassergraben, der Fußgänger von einem Brutgebiet trennen sollte, bauten Unbekannte aus Findlingen einen neuen Steg.
Auch ihren Landschaftswächtern kann die Stadt nicht viel helfen. Sie gibt ihnen Ausweis und Plakette, sie sagte die Unterstützung des Ordnungsamts zu, sie sucht per Aufruf neue Ehrenamtliche. Sie rät, nicht allein auf Streife zu gehen. Karin Piek tut es trotzdem, entschlossen, das Naturschutzgebiet zu schützen, „es ist ja so riesig“! Und wenn ihr jemand unangenehm kommt, wenn sie Jugendliche anrücken sieht mit Fleisch und Flaschen – dann ruft sie gleich die Polizei. Die kann Platzverweise aussprechen oder Ordnungsgelder verlangen. Am Wochenende löste sie eine Party unter einer Ruhrbrücke auf. Die Gäste gingen, ihre Hinterlassenschaften blieben.