Mülheim.

Über 40 Jahren ist Angelika Scheidtsteeger, die seit ihrem 14. Lebensjahr am Stand ihres Vaters Heinz teLaak mitgearbeitet hat, bereits im Mülheimer Marktgeschäft. Als ihre vier Kinder noch klein waren, bat sie ihren Mann Thomas, den sie schon in der Schule kennengelernt hatte, seine Arbeit als Großhandelskaufmann aufzugeben und ins Obst- und Gemüsegeschäft mit einzusteigen. „Ich war total perplex, als meine Frau sagte: ‘Hör auf und hilf mir, sonst schaffe ich es nicht mehr!’ Ich habe es nie bereut“, gibt Thomas Scheidtsteeger zu.

Seit rund 30 Jahren fährt er nun jeden Morgen um 2 Uhr früh zum Großmarkt nach Duisburg, um Obst und Gemüse einzukaufen, kommt abends gegen 19.30 Uhr nach Hause und geht spätestens um 22 Uhr ins Bett. Für die Zwillingstöchter war früh klar, dass sie in die Fußstapfen ihrer Eltern treten. Jetzt betreiben sie den Stand auf der Schloßstraße, während sich ihre Mutter Angelika seit vier Jahren um die „Appelkitsche“ am Fuße der Schloßstraße kümmert, die allerdings Ende des Monats schließt. Die Miete und die städtischen Standnutzungsgebühren sind den Händlern zu teuer geworden. Auch auf den Heißener und Saarner Wochenmärkten beschickt die Familie Stände, so dass sie außer sonntags und montags fast rund um die Uhr beschäftigt ist – kein einfaches Leben, denn niemand darf krank werden oder ausfallen, sonst bricht der ausgeklügelte Tagesablauf zusammen.

Früher wurden größere Mengen gekauft

Auf die Frage, was heute anders als früher ist, kommt ohne zu zögern die Antwort: die Supermärkte. Früher haben die Menschen alle frischen Lebensmittel auf dem Markt gekauft. Da kauften die Hausfrauen noch täglich in großen Mengen vorwiegend saisonale Produkte für die ganze Familie ein. „Frische Gurken oder Paprika gab es im Winter vor dem Aufkommen der Gewächshäuser nicht, heute könnten wir jederzeit alles besorgen“, vergleicht die Markthändlerin.

Ihr Mann berichtet, dass von frischen Johannisbeeren oft bis zu zehn Kilogramm gekauft wurden, um Gelee zu kochen. Heute werden vorwiegend kleine Schalen verkauft. Auch mäkelig waren die Kunden früher nicht. Da durften Apfel und Co. ruhig mal eine Druckstelle haben, das gehörte eben dazu. Heute wünschen die meisten Kunden makelloses Obst und Gemüse. In der „Appelkitsche“ gibt es die Besonderheit, dass aussortierte Teile pro Tüte für einen Euro abgegeben werden. „Einige Kunden schätzen dieses günstige Angebot und wir müssen die Waren nicht wegwerfen“, sagt die Marktfrau.

Kritische Kunden

Der heutige Kunde ist kritisch und gut informiert: Das durch hohe Pestizidwerte in die Kritik geratene spanische Obst und Gemüse wird von vielen gemieden. Wenn es allerdings keine Alternative gäbe, wie zum Beispiel bei frühen Erdbeeren, und die Lust auf die süßen Früchte gar zu groß sei, würden die Bedenken auch gerne über Bord geworfen, berichtet Thomas Scheidtsteeger schmunzelnd.

Allein in Mülheim gibt es rund 80 Supermärkte und Discounter, in denen die meisten Familien für die ganze Woche einkaufen. Auf dem Markt werden oft nur kleine Mengen dazugekauft. „Viele Passanten kaufen beispielsweise zwei Bananen, einen Apfel oder eine Schale Erdbeeren für die Mittagspause – selten werden große Mengen gekauft“, bedauert das Ehepaar.

Stärken gegenüber dem Discounter

Trotzdem kommen Stammkunden seit über 20 Jahren, sie schätzen auch die kostenlosen Kochtipps von Angelika Scheidtsteeger und ihrer langjährigen Mitarbeiterin Birgit Dane. Deshalb probiert der Händler jeden Morgen auf dem Großmarkt Geschmack und Frische der Waren und hat jetzt auch nach langem Abwägen investiert und eine Spargelschälmaschine gekauft, damit seine Kunden das Gemüse aus der Region frisch geschält mit nach Hause nehmen können. Auch Erdbeeren und Blumen beziehen sie immer von regionalen Bauern.

Das seien die großen Stärken des Marktes gegenüber der Anonymität der Discounter, betont Thomas Scheidtsteeger und bedauert, dass sie deren Preise, vor allem bei exotischen Früchten, nicht unterbieten können. „Viele unserer Einkäufe lassen sich mittlerweile schlecht kalkulieren. Wenn wir früher zwei Paletten Erdbeeren locker verkauft haben, gehe ich heute schon beim Kauf von 50 Kilogramm ein Risiko ein“, erklärt er das schwankende Kaufverhalten, das wiederum von den täglichen Angeboten der Supermarkte abhängt. Trotzdem möchten beide ihr zwar anstrengendes, aber abwechslungsreiches Markthändler-Leben nicht missen und können sich ein Leben im Ruhestand (noch) nicht vorstellen.