Mülheim.
Näher dran am Mülheimer, am Leben und den alltäglichen Ärgernissen als die drei Bezirksbürgermeister ist wohl kein Politiker: Arnold Fessen (BV1), Heike Rechlin-Wrede (BV2) und Gerhard Allzeit (BV3) sprachen mit Andreas Heinrich und Julia Blättgen über die Frage: „Wie lebt es sich in den Stadtteilen?“
Gibt es ein Thema, das momentan in den Stadtteilen besonders präsent ist?
Arnold Fessen: Ein Thema, das uns alle betrifft, sind Bebauungspläne. In meiner BV sind die Pläne an der Tilsiter Straße sehr umstritten. Den Konflikt Wohnraum kontra Natur gab es auch in Menden. Ich weiß nicht, welchen Weg wir in Heißen gehen. Wir warten noch auf die Wohnraumbedarfsanalyse. Wir brauchen diese Zahlen und Fakten.
Heike Rechlin-Wrede: In meiner BV existieren nicht so viele Freiflächen. Ich würde mir aber wünschen, dass das 100-Häuser-Programm bei uns oben klappt.
Gerhard Allzeit: Ich denke, dass hochwertige Wohnungen immer aktuell sind, wie am Blötter Weg. Potenzial gibt es auch in Selbeck. Dort könnte man als Zuzugsgebiet viel machen.
Für viel Ärger sorgten auch Rechnungen für Straßenbaumaßnahmen, die teils Jahrzehnte zurückliegen . . .
Fessen: Es ist so, dass die BV entscheiden kann, OB eine Straße gemacht wird – aber nicht, WIE sie gemacht wird. Den ersten Konflikt dieser Art hatten wir 2004/05 an der Semmelweisstraße. Das Ergebnis dessen war, dass wir nun vorher mit den Bürgern sprechen. Ich denke, das ist genau der richtige Weg.
Rechlin-Wrede: Das Geld ist der häufigste Konfliktpunkt. Die Leute erwarten eine bestimmte Leistung und wenn es die nicht gibt, wollen sie nicht zahlen. Vielen, die ein Einfamilienhäuschen haben, ist gar nicht präsent, welche Summen auf sie zukommen können. Die Satzungsänderung hat eine schnellere Abrechnung ermöglicht. Jetzt liegt nichts mehr 30 Jahre, und die Kosten sind vorher klar. Das ist eine Verbesserung.
Was sind die häufigsten Aufreger in den Stadtteilen?
Allzeit: Beschwerden gibt es immer wieder über zu schnelles Fahren und verdreckte Containerstandorte.
Fessen: Ordnung und Sauberkeit sind die Hauptwünsche.
Rechlin-Wrede: Ja. Beschwerden über vermüllte Container gibt es tatsächlich oft. Dabei gibt es die Möglichkeit, die Sachen an der Pilgerstraße abzugeben.
Allzeit: Trotzdem stehen an allen Containerstandorten Kartons. Das ist Bequemlichkeit und auch ein Zeichen der Gleichgültigkeit.
Fessen: Teils sind die Darstellungen der Bürger aber auch überzogen. Und Stadt und MEG reagieren schnell, wenn man sie informiert.
Mülheimer Bezirksbürgermeister beschäftigen sich mit alternder Gesellschaft
Und der Verkehr?
Fessen: Wir haben für alle BVs vier Geschwindigkeitsmessegeräte, die wir bei Beschwerden an den genannten Orten aufstellen. In jede Fahrtrichtung wird eine Woche lang gemessen. Die so ermittelten Daten erhalten wir, die Polizei und diejenigen, die sich beschwert haben. Oft bestätigt sich der subjektive Eindruck, dass eine Stelle eine Rennstrecke ist, aber nicht.
Allzeit: Durch die Fachhochschule wird sich der Verkehr in Broich ändern. Wir befürchten dort etwa mehr Verkehr in den Nebenstraßen. Aber das werden wir abwarten müssen.
Gibt es „Baustellen“, die Sie seit Jahren beschäftigen?
Allzeit: Das Links-Abbiegen von der Prinzeß-Luise- auf die Duisburger Straße. Irgendwie will die Stadt da nicht ran. Für mich ist das Argument, die Straße sei zu eng, nicht überzeugend.
Fessen: In Heißen gibt es einen Konflikt, der dem um das „Fallwerk“ sehr ähnelt. In fast jeder Sitzung werden wir aufgefordert, über die Firma „Metallurgica“ zu berichten. Es gab mal Pläne, dort einen höheren Kamin zu fordern, doch die Firma sah sich finanziell dazu nicht in der Lage. Die Folge wäre, dass der Betrieb schließen müsste. Das ist ein schwieriges Thema.
Wie reagieren die Stadtteile auf den demografischen Wandel?
Allzeit: In Speldorf gibt es zum einen die Pläne für Sportplätze, um junge Familien anzuziehen. Außerdem ist an der Hansastraße eine Senioreneinrichtung geplant. Wenn das so umgesetzt wird, ist das eine gesunde Entwicklung.
Rechlin-Wrede: Es ist wichtig, das Gleichgewicht zwischen Jung und Alt zu halten. Das heißt, man braucht Kinder- und Seniorentagesstätten gleichermaßen. In Styrum wird es hoffentlich den Bürgerbus geben. Aber wir haben eine tolle Bürgerarbeit und ein aktives Netzwerk in der Seniorenarbeit. Beispielhaft sind auch die Styrumer Schulleiter, die gemeinsam konfliktfrei für den Stadtteil arbeiten.
Fessen: In der Heimaterde gibt es ein gutes Beispiel, mit dem demografischen Wandel umzugehen. Menschen, die dort seit Jahrzehnten leben, wollen dort im Alter bleiben. Immeo baut deshalb gezielt Altenwohnungen, damit die Menschen in ihrem liebgewonnenen Bezirk bleiben können. Es lässt sich nicht jeder gern verpflanzen. Das ist eine angepasste Entwicklung und beispielhaft.
Wie sieht die finanzielle Ausstattung der Bezirksvertretungen aus?
Fessen: Jede BV hat 26.500 Euro im Jahr, früher waren es mal 32.000 Euro.
Rechlin-Wrede: Die Konzeption der Mittelvergabe sieht so aus, dass man Projekte in der Regel ergänzt. Wir wissen immer genau, was mit dem Geld passiert.
Fessen: Wir tätigen in der Regel freiwillige Ausgaben – und die sind im Nothaushalt nun einmal schwierig.
Allzeit: Allerdings kommt eine verschönerte Bank oder ein neues Spielgerät auch dem Stadtbild zugute.
Wie ist Ihr Erleben: Sind Mülheimer mit ihrer Stadt zufrieden?
Allzeit: Die Menschen sind heute kritischer – aber sie sind dennoch nicht so unzufrieden, dass sie wegziehen. Vielleicht liegt es auch an der heutigen Zeit, erst einmal Nein zu sagen.