Mülheim. Das Schauspiel Wien zeigt mit Ewalds Palmetshofer „Tier. Man wird doch bitte Unterschicht“ eine Groteske.

Dass in der dörflichen Gemeinschaft etwas faul ist, liegt förmlich in der Luft. Zentimeterdick ist die Bühne mit Erde bedeckt und große Pilze sprießen an mehreren Stellen. Modriger Geruch ist deutlich vernehmbar. Am wackligen Tresen flackert das Licht. Der Fisch stinkt ja bekanntlich vom Kopf, doch in Ewald Palmetshofer „Tier. Man wird doch bitte Unterschicht“ wollen einige Experten der Frage nachgehen, ob denn die Gesellschaft von den Rändern oder vom Kern aus fault.

Erika, die als Schülerin vom Sohn des Direktors unter tätlicher Mithilfe ihrer Mitschüler vergewaltigt wurde, lebt noch immer in dem Dorf, wird schikaniert von ihren ehemaligen Peinigern, wenn sie in einer schäbigen Spelunke an der Theke zapft, und muss für den inzwischen pflegebedürftigen Schuldirektor den Haushalt schmeißen. Das klingt so ganz nach Sozialdrama der 70er Jahre, doch der 33-Jährige österreichische Dramatiker hat das Milieu nur mit einigen groben Strichen gezeichnet, der Ablauf ist schriller und kolportagenhaft.

Stummelsätze in Perfektion

Dabei geht es weniger um das Schicksal der Frau (großartig Myriam Schröder), die sich in der Inszenierung von Felicitas Brucker durchs Leben boxen muss und doch keine Hoffnung hat, als vielmehr um das hohle Geschwätz der Experten. Die Sprache, darin liegt die Meisterschaft von Palmetshofer.

Nach sieben Stücken hat er seine Stummelsätze perfektioniert. Sie bleiben unvollständig, Gedanken mäandern und geraten nach Worten ringend ins Stocken, werden wiederholt und die Experten fallen sich immer wieder ins Wort, wollen sich ergänzen, verbessern oder zurechtweisen, wenn einem doch wieder ein indiziertes Wort wie Sozialhygiene oder eben Unterschicht herausrutscht. Zu lesen ist das oft furchtbar, aber gut gesprochen, wie es die Wiener demonstrieren, hat das Rhythmus und ist von hoher Musikalität.

„Was kann das Ziel dafür, wenn es der Pfeil nicht trifft“

Die weiteren Gastspiele

Als nächstes ist am Mittwoch, 7. März, das Theater Göttingen mit „Sweetie“ einer Theateradaption des gleichnamigen Films von Jane Campion („Das Piano“) zu Gast. Es ist eine Geschichte über zwei ungleiche Schwestern. Am Samstag, 10. März, folgt der Klassiker von Franz Xaver Kroetz „Furcht und Hoffnung in Deutschland“ in einer Inszenierung vom Theater Heidelberg. Es folgt am Samstag, 17. März, das neue Stück von Roland Schimmelpfennig, der wie Kroetz Preisträger des Stückefestivals ist. „Die vier Himmelsrichtungen“, ebenfalls in einer Aufführung des Theaters Heidelberg, zeigt, wie der Zufall das Glück des Menschen bestimmt. Das Theater an der Parkaue in Berlin zeigt am 3. und 4. Mai ein Stück, das die nationalsozialistische Zeit behandelt. „Die Kindertransporte“ von Hans-Werner Kroesinger thematisiert die Flucht jüdischer Kinder im November 1938 nach England. Das Stück wurde 2007 mit dem Brüder-Grimm zur Förderung des Jugendtheaters ausgezeichnet. Alle Aufführungen beginnen im Theater an der Ruhr um 19 Uhr, Eintritt 17 Euro/ermäßigt 7 Euro.

Doch all das Theoretisieren und Lamentieren hilft den Menschen nicht. Einer der sechs Experten, die alle zwischen drei Rollen und Zeitebenen hin und herspringen, stellt fest: „Was kann das Ziel dafür, wenn es der Pfeil nicht trifft.“ Kann man den Neoliberalismus schöner ausdrücken?

Das klingt, „als gäb’ es in der Mitte Platz genug“, doch dann würde irgendwann die Mitte implodieren. Das Menschliche in Erika hat sich längst eine Auszeit genommen, sie hofft auf Wärme. Doch als sie diese wieder gewinnt und die Idylle mit einem großen Knalleffekt am Ende zusammen bricht, wirkt das am wenigsten überzeugend in dem Stück.