Mülheimerin im Occupy-Camp

Mülheim. .

Regentropfen prasseln auf das Dach des weißen Zeltes. Vicky sitzt in einem alten Korbstuhl. Auf dem niedrigen Schrank neben ihr steht in roter Schrift „Empört euch!“. Es riecht süßlich, vielleicht nach den braunen Bananen, die in einer großen Schüssel auf dem Schrank lagern. Vicky streicht ihre roten Haare aus dem Gesicht.

Sie ist 27 Jahre alt, in Mülheim geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen. Später arbeitete sie hier. Bis sie im letzten November ihr Leben vollkommen umkrempelte. Seither lebt sie im Occupy-Camp, ein Protest-Zeltlager in der Düsseldorfer Innenstadt – neben der Johannes-Kirche, unweit der schicken Kö und der Einkaufsmeile Schadowstraße. Sie demonstriert gegen das Finanzsystem, den Kapitalismus, die Entmenschlichung. Unterm Zeltdach träumt sie von einer besseren Welt.

Noch nicht im Camp besucht worden

Vicky ist in Menden-Holthausen aufgewachsen. Zuletzt arbeitete sie in einem Café an der Schloßstraße als Kellnerin. Wenn sie davon erzählt, spricht sie von ihrem „früheren Leben“. In dem Leben hatte Vicky eine eigene Wohnung in der Stadtmitte. Mit 82 Paar Schuhen. Heute, im Zelt, hat sie noch zwei.

Sie sei ein „kleines Barbiepüppchen“ gewesen: „Ich bin mit meinen Shopping-Tüten auf Highheels in den Starbucks und habe einen Kaffee für vier Euro gekauft.“ Sie habe viel eingekauft. Kleidung, Schuhe, „um mich in der Gesellschaft zu verankern“. Ihren letzten Anker, die Wohnung, will sie nun auflösen. Dort wohnt sie seit November nicht mehr. Die Kleidung und die Schuhe will sie nicht behalten. Vielleicht wegschmeißen. Vielleicht verkaufen. „Hüfthose und bauchfreies T-Shirt sind zum Zelten nicht praktisch.“

Kontakt zu den Freunden aus Mülheim hat Vicky kaum. Via Internet würden sie ihr Nachrichten schreiben, dass sie sich um sie sorgen. Aber im Camp besucht habe sie noch keiner. Auch der Kontakt zur Mutter, die in Mülheim lebt, ist rar. Die würde sie nicht ernst nehmen, ihre Warnungen, dass auf das Finanzsystem kein Verlass sei. Vickys Vater starb. Da war sie 15 Jahre alt.

"Ich vermisse nichts"

Mitte November ist sie fest ins Camp gezogen, hat ihren Job als Kellnerin gekündigt. Seit zwei Jahren habe sie sich für die „Revolution“ interessiert, so sagt sie. Vicky ist kein politischer Mensch. Sie interessiert sich nicht für Parteien, EU-Gipfel, Rettungsschirme.

Sie träumt von einer besseren Welt, ohne Geld, ohne Finanzsystem. Vicky und die anderen aus dem Camp – circa 20 Aktivisten, fünf leben dauerhaft im Zeltlager – wollen aufs Land ziehen. Gemüse anbauen, sich selbst versorgen. „Die Stadt ist nichts für mich, für die Kinder, die ich irgendwann mal haben werde, und für meine zwei Katzen.“ Letztere sind mit Vicky ins Camp gezogen.

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Die Occupy-Bewegung

„Ich vermisse nichts“, sagt Vicky und blickt sich um. Hinter ihr steht in der provisorischen Küche eine große Pfanne. Dort kochen sie. Ihre Tage verbringt Vicky hauptsächlich mit dem Organisieren von Lebensmitteln. Gestern war sie vier Stunden unterwegs, um an Gemüse zu gelangen. Sie fragt bei Marktleuten, Bäckern, kleinen Geschäften.

Die Camp-Kasse bleibt zu

Die Händler schenken ihr Waren, die sie nicht mehr verkaufen können. Braune Bananen beispielsweise. Vor dem Camp haben sie ein großes Schild aufgestellt, auf dem sie notieren, was sie gerade an Lebensmitteln brauchen. Manchmal kommen Leute und schenken ihnen die entsprechenden Sachen. Es gibt eine Camp-Kasse, aber die rühren sie selten an. „Wir wollen dem System kein Geld zuführen“.

Ansonsten sind die Camper mit der Instandhaltung des Lagers beschäftigt. Sie organisierten Vollversammlungen und Demonstrationen. Die Bürger seien ihnen gegenüber aufgeschlossen, unterhielten sich mit ihnen. „Viele haben Angst vor der Zukunft“, sagt Vicky. Sie streicht sich eine rote Strähne aus dem Gesicht. Der Regen prasselt immer noch auf das Zeltdach.