Frankfurt/Main. . Seit Oktober harrt ein harter Kern von Demonstranten vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt aus. Alle zwei Wochen genehmigt die Stadt das kleine Zeltlager. Und lobt die Disziplin und Ordnung im Camp.

Aus der einst grünen Wiese vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt ist Matsch geworden. Die Bäume sind kahl. Unter ihnen stehen große und kleine Zelte, zwischen denen Menschen umherlaufen. Anders als die Natur ist das Protestcamp der Occupy-Bewegung nicht vor dem Winter gewichen.

Nach dem Aufbau des Camps Mitte Oktober hat sich mittlerweile ein harter Kern eingeschworen, der auch 2012 weiter gegen die Macht der Banken protestieren will - auch wenn die bisherige Bilanz eher nüchtern ausfällt.

Etwa 60 bis 70 Leute leben laut Occupy immer noch dauerhaft vor der EZB. Nach Angaben der Stadt stehen dort derzeit um die 25 Zelte, vor ein Paar Wochen waren es mehr als 100. In einigen sieht es fast bequem aus: Sessel und Stühle stehen dort, Decken liegen herum. „Herzlich Willkommen“ heißt es auf Schildern am Eingang des Zeltlagers.

Fast jeden Tag treffen sich Arbeitskreise, um beispielsweise Demonstrationen zu planen. Es ist ruhig geworden im Camp, Routine macht sich breit. Auf eine gemeinsame Forderung an Politik und Wirtschaft haben sich die Teilnehmer bisher nicht geeinigt. „Es gibt kaum Debatten über konkrete politische Maßnahmen“, sagt der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. Konkret bewirkt habe die Bewegung nichts.

Einen Lösungsvorschlag müsse Occupy aber auch gar nicht vorweisen, hält Bewohner Christian Fritz dagegen. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir keine Ziele propagieren wollen“. Es gehe nur darum, bei den Menschen das Bewusstsein zu ändern. Darin sei Occupy sehr erfolgreich. Er betont zudem: „Wie unglaublich arrogant wäre es, wenn 200 Leute im Camp über 99 Prozent der Bevölkerung entscheiden?“

Frankfurt weltweit ein Vorbild

Fritz sagt, er sei Schreiner, kein Betriebswirt. „Ich kann nicht mehr machen, als mich verändern“. Die Menschen im Camp versuchten Vorbilder zu sein, da Menschen oft erst handelten, wenn es ihnen vorgelebt werde. Auch die anderen Occupy-Camps weltweit sehen das Zeltlager in Frankfurt offenbar als Vorbild: „Hier schneiden die sich eine Scheibe von ab“, sagt Fritz. Es seien beispielsweise Occupy-Teilnehmer aus Chicago und Paris zu Besuch gewesen, und sie alle hätten die Organisation und die Arbeit bewundert.

Nur eitel Sonnenschein herrscht unter dem blauen Euro-Zeichen aber nicht. „Es gibt Lagerkoller“, berichtet Student Erik Buhn. Das sei ganz normal, schließlich sei Occupy ein Zweckbündnis, für das sich die Menschen zusammenrauften.

Die 28 Jahre alte Campbewohnerin Carina ist davon überzeugt, dass Occupy auch 2012 noch Relevanz hat. Die Kritik von Wirtschaftsmanagern oder dem Bürgerrechtler Joachim Gauck, der die Finanzmarkt-Debatte als „unsäglich albern“ bezeichnete, lässt sie kalt. Occupy brauche sogar Kritik, um daraus zu lernen und auf andere Ideen zu kommen, meint sie.

Lob von der Stadtverwaltung

Wenig Kritik kommt von der Stadt. „Das Verhalten war bisher immer sehr gut“, sagt der stellvertretende Sprecher des Ordnungsamts, Michael Jenisch. „Wir erteilen alle zwei Wochen eine neue Genehmigung“. Die aktuelle Erlaubnis laufe bis zum 10. Januar. Es gebe relativ wenige Bürgerbeschwerden wegen Lärm und Müll. „Wenn wir es bei jeder Versammlung so hätten in Frankfurt, wäre es angenehmer“, sagt Jenisch.

Auch wenn Occupy betont, es gebe immer noch zahlreiche Spenden in Form von Geld, Lebensmitteln und andern benötigten Gütern, so ließ der Zuspruch zu den Demonstrationen zuletzt stark nach. Das sei auch wetterbedingt, sagt Fritz. Er betont aber zugleich: „Mein Ziel ist, bis Ostern hier durchzuhalten“.

Wenn bis dahin nicht mehr 2.000 Menschen zu den Demonstrationen kämen, habe die Stadt die Ausbeutung durch die Banken verdient. „Dann sind wir gescheitert“ sagt er. Das sieht Carina anders. Die Mutter eines Sohnes will trotzdem bei Occupy bleiben, auch wenn die Resonanz ausbleibt.

Erik Buhn ist realistisch: Änderungen im Bankensystem und in der Politik könnten Jahrzehnte dauern, sagt er. Es sei unmöglich, das in einem halben Jahr zu schaffen. dapd