Mülheim. .
Stadt am Fluss — reicht das nicht? Nun, davon gibt es viele. Und sympathisch nennt sich wohl auch jede, wie auch keine Stadt von sich behaupten würde, nicht familienfreundlich zu sein oder die Bildung nicht am höchsten zu halten. Was macht Mülheim aus?
Und wohin will die Stadt? Die Politik denkt verstärkt über ein neues Leitbild nach, nachdem nicht nur Ratsmitglieder sich immer häufiger fragen: Wofür stehen wir eigentlich? Auch die Unternehmen mischen sich ein, bieten ausdrücklich ihre Hilfe bei der Suche an. Aber braucht eine Stadt eigentlich ein Leitbild?
„Wenn wir Unternehmen nach Mülheim holen wollen“, sagt Hanns-Peter Windfeder, Vorsitzender des Unternehmerverbandes Mülheim, „dann müssen wir die Frage beantworten, wofür unsere Stadt eigentlich steht. Für Investitionen ist längst entscheidend, was der Standort zu bieten hat.“ Die Positionierung einer Stadt, so Windfeder bei einer Debatte im Haus der Wirtschaft, werde immer wichtiger. Dass eine Kommune davon profitiere, zeige sich in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Dort liegt Düsseldorf: Altstadt, Kö, Kunststadt, viele Japaner, gutes Einkaufsklima, Exklusivität, der Charme des Rheins, Messestadt, Flughafen – Düsseldorf umgibt sich mit Mondänem, europäischer Größe, Aufenthaltsqualität.
Knallharte Fakten als Grundlage für Leitbild-Prozess
Auf der anderen Seite Essen: Nach wie vor Einkaufsstadt; mit Folkwang, Aalto und Philharmonie eine Hochburg der Kultur; eine Stadt der Medizin. Dazwischen Mülheim: nur eine klasse Wohnstadt? „Dass wir in Mülheim viel zu bieten haben, wissen wir, wir müssen nur darüber auch reden.“
Wer weiß schon, dass Mülheim im Städte-Ranking als erfolgreichster Standort im Ruhrgebiet gilt, auf Platz 1 steht beim Wachstum der Wirtschaftsleistung und das in Deutschland. Oder das Mülheim der Standort mit dem größten Industrieanteil im Ruhrgebiet ist. Doch wie kommt man zu einem Leitbild, das nicht leichtfertig daherkommt?
„Eine Leitbild-Entwicklung ist alles andere als oberflächliches Gequatsche, wenn man es richtig macht“, betont Prof. Ursula Funke, die seit vielen Jahren Stadt- und Regionalkonzeptionen begleitet und moderiert. Für die Wirtschaftswissenschaftlerin von der Uni Frankfurt ist klar, dass „knallharte Fakten“ zunächst das Fundament des Leitbild-Prozesses bilden. Der Ist-Zustand einer Stadt müsse sehr genau analysiert werden. Dazu gehört für Funke an erster Stelle, dass man in Erfahrung bringt, was die Bürger über ihre Stadt denken, wo sie deren Stärken und Schwächen sehen. Unerlässlich und hoch spannend sei dies. „Viele glauben zu wissen, was die Bürger wollen. Das ist eine Illusion.“ Qualifizierte Markt- und Meinungsforschung sei unerlässlich. Damit ist auch klar: Ein Leitbild kostet – zunächst.
Funke, Gast im Haus der Wirtschaft, plädiert zudem für Expertenrunden zu verschiedenen Themen: „Fragen Sie die Menschen, ob sie zwei Abende der Stadt schenken und dann über das diskutieren, was die Stadt ausmacht“, rät sie. Und: Lassen Sie kontroverse Meinungen zu!
Meinungsforscher: Bürger einbeziehen!
Für den Einsatz der Bürger plädiert auch der Hamburger Meinungsforscher Dr. Helmut Jung: Nur wenn man die Bürger frühzeitig in die Leitbild-Entwicklung einbezieht, gibt es die Chance, dass der Prozess zum Erfolg führt. Das Ziel muss ja sein, dass am Ende ein Leitbild die Bürger auch emotional anspricht und Identifikation ermöglicht.“
Dass sich Bürger heute wie vor 20 Jahren gerne für ihre Stadt engagieren, wenn man sie denn lässt, davon ist Jung überzeugt. Das gelte erst recht, wenn die Bürger erkennen, dass sie in ihrem direkten Umfeld davon profitieren werden. Voraussetzung: Das Engagement muss für sie zeitlich überschaubar und themenzentriert sein. Jung sieht noch einen weiteren Vorteil: „Sie bekommen dadurch auch eine andere Stimmung in der Stadt. Meist haben Sie Bürgerinitiativen gegen etwas, hier setzen sich Menschen für etwas ein.“
Für die Politik in Mülheim, die sich immer wieder einer Vielzahl von Bürgerinitiativen und Protesten gegenübersieht, könnte auch das interessant sein. Die Politik und vor allem die OB, so sehen es die Experten, sind nun am Zug. Sie müssen die Leitbild-Entwicklung auf den Weg bringen, Finanzmittel freimachen und sie müssen am Ende dafür sorgen, dass ein Leitbild gepflegt wird – über Jahrzehnte.