Mülheim-Styrum. . Immer mehr Hausärzte stehen vor der unlösbaren Aufgabe, einen Nachfolger zu finden. Für zwei von fünf Praxen kommt das Aus. Der Grund liegt darin, dass viele Mediziner lieber in Gemeinschaftspraxen arbeiten wollen, um das Risiko zu minimieren.
Hunderte Patientenkarteien, alteingesessen – und doch wird die Suche nach einem Nachfolger für die eigene Praxis für Hausärzte zunehmend zur schier unlösbaren Aufgabe. Styrum bekommt das in diesem Jahr zu spüren. Für zwei von fünf Praxen kommt das Aus. Sie waren nicht zu vermitteln.
Drei Jahre lang hat sie es versucht: Dr. Kristina Okrasa suchte, weil sie selbst ihr Stethoskop absehbar abzulegen gedenkt, einen Nachwuchsmediziner, der ihre Praxis an der Kaiser-Wilhelm-Straße übernehmen sollte. Die Suche blieb ohne Erfolg. Kristina Okrasas Erklärung: „Junge Ärzte wollen im Verbund arbeiten. Allein ist das wirtschaftliche Risiko zu groß.“
Mit dieser Beobachtung steht die Allgemeinmedizinerin nicht alleine. Auch der Vorsitzende der örtlichen Ärztekammer, Uwe Brock, weiß um den Trend, der den Hausärzten durch die Budgetpolitik im Gesundheitssystem aufgezwungen worden ist: Sie suchen ihr wirtschaftliches Risiko dadurch zu minimieren, dass sie a) Standorte mit relativ niedrigem Anteil an Privatpatienten links liegen lassen und b) ihren unternehmerischen Berufsstart in einer Gemeinschaftspraxis suchen, um Verwaltungs- und Sachkosten zu sparen.
Gemeinschaftspraxis in der Innenstadt
So strebt auch Okrasa zum Oktober in eine Gemeinschaftspraxis in der Innenstadt. Sie selbst wird dort nicht mehr behandeln. Aber nur mit dem Standortwechsel habe sie die Möglichkeit, ihre Praxis samt Patientenstamm gegen eine übliche Abstandssumme an Jungmediziner zu übergeben. Für sie sei es wichtig gewesen, kompetente Nachfolger zu finden, um ihre Patienten, die Jahre schon zu ihr kommen, in guten Händen zu wissen. „Ich gehe nicht einfach weg aus Styrum“, sagt sie. „Für die Patienten ist gesorgt.“ In acht Minuten sei man mit dem Auto in der Innenstadt, im Nahverkehr seien es drei, vier Haltestellen. Okrasa hält das für zumutbar, zumal es für weniger mobile, ältere Patienten weiter Hausbesuche geben werde. Gar habe der Hausarztbesuch in der City Vorteile: Fachärzte für die Weiterbehandlung, etwa Radiologen oder Kardiologen, seien dort in direkter Nähe.
Zur Unwirtschaftlichkeit einer Praxis, die allein von einem Allgemeinmediziner betrieben wird: Die WAZ weiß von einem Hausarzt aus einem anderen Stadtteil im Norden, dass abzüglich seiner Personal- und Sachkosten pro Monat nicht mehr als 3000 bis 3500 Euro brutto übrig bleiben. Davon muss die eigene Sozialversicherung, die Altersvorsorge bestritten, Steuern bezahlt werden. Früher, so Hausärzte übereinstimmend, sei das Auskommen mit dem Einkommen besser gewesen.
Niedrigeres Einkommen
Heute, da er pro Kassenpatient und Quartal – und das unabhängig von der Behandlungsintensität – gerade einmal 35 Euro Umsatz mache, klagt Dr. Helmut Hoersen, könne er von den Einnahmen der Praxis und mit zwei Kindern im Studium „nur noch schwer existieren“. Auch Hoersen, der im kommenden Jahr, wenn er 65 wird, in den Ruhestand gehen will, wird seine Styrumer Praxis verlegen: Er verlässt zum 1. Juli die Oberhausener Straße, um sich einer Gemeinschaftspraxis an der Schloßstraße anzuschließen, alle drei Angestellten inklusive. Ab Februar 2010 hatte er zunächst noch in der Börse der Kassenärztlichen Vereinigung nach einem Nachfolger für seine Praxis in Styrum gesucht. Resonanz: null. „Für eine Einzelpraxis gibt es keine Nachfrage, weil die finanzielle Situation eine Katastrophe ist“, sagt er. Für Hoersen liegt die erfolglose Akquise für einen Nachfolger nicht am sozial schwachen und daher mit relativ wenigen Privatpatienten „gesegneten“ Standort begründet. So kennt er den Fall eines Kollegen im sicher besser betuchten Ratingen, der seine Praxis ebenfalls nicht in jüngere Hände übergeben bekommt. „Die Praxis war für 10 Euro zu haben“, erzählt Hoersen. „Das zeigt, wie aussichtslos es ist. Man kann eine Einzelpraxis wie warmes Bier anbieten . . .“
Für Hoersen ist das Hausarztsterben in Styrum gerade erst der Anfang einer Entwicklung. „Am Ende wird es nur noch ein, zwei Gemeinschaftspraxen in den Vororten geben. Die versorgen dann den ganzen Sprengel.“