Mülheim. Immer mehr Ärzte geben ihre Praxen in Mülheim auf. Von derzeit fünf Allgemeinmedizinern werden wohl zwei bald ihre Praxis schließen. Die WIR-Linke fordert den Druck auf die KV zu erhöhen, um so eine Aktualiserung der Bedarfsplanung zu erreichen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind krank und es gibt keinen Hausarzt mehr in der Nähe. Was sich für ländliche Regionen im Land schon lange zum Problem auswächst, erregt nun des Öfteren auch die Gemüter im alternden Mülheim. Aktuell machen sich die örtliche Ärztekammer und die Ratsfraktion WIR-Linke Sorgen um die künftige Hausarzt-Versorgung in Styrum.
Sechs Allgemeinmediziner betreiben zurzeit fünf Praxen im Stadtteil. Zwei Praxen werden aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr schließen: Dr. Helmut Hoersen verlässt die Oberhausener Straße und schließt sich zum 1. Juli der Praxisgemeinschaft im Schlosscenter (Schloßstraße) an. Dr. Kristina Okrasa wird ihre Praxis an der Kaiser-Wilhelm-Straße, wenn sich ihre Planungen realisieren lassen, zum 1. Oktober aus Altersgründen schließen. Blieben für Styrum: drei Praxen.
Styrumer Ärzte sind ausgelastet
„Schon heute sind die Styrumer Praxen stark gefüllt und die Ärzte ausgelastet“, sagt Achim Fänger, Fraktionsvorsitzender von WIR-Linke. „Wenn Urlaubsvertretung gemacht wird, sind die Praxen überfüllt.“ Das drohe nun auf Dauer. Die Patienten kämen dabei zu kurz, für die verbleibenden Mediziner werde es „grenzwertig“, begründet WIR-Linke ihren thematischen Vorstoß für den nächsten Sozialausschuss. Die Stadt könne zwar wenig selbst tun, tatenlos zusehen dürfe sie aber auch nicht, wenn die wohnortnahe Versorgung immer mehr ausgedünnt werde, so Fraktionsmitglied Gerhard Schweizerhof, selbst praktizierender Allgemeinmediziner an der Mühlenstraße in Dümpten. Die Stadt könne Druck machen bei der für die Praxis-Zulassungen zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV).
Dort wird kein Problem für Mülheim erkannt. Zwar schaue man nicht explizit in Stadtteile, für das komplette Stadtgebiet könne man aber sagen, dass keine Stadt im Bezirk Nordrhein über eine höhere Hausarzt-Versorgung wie Mülheim verfüge, so Karin Hamacher von der KV Nordrhein. Der Versorgungsgrad liege mit 121 % über der Bedarfsplanung. Und: Wenn irgendwo im KV-Bezirk ein Hausarzt seine Tätigkeit beende, sei die Suche nach einem Nachfolger „in der Regel“ erfolgreich, auch wenn junge Hausärzte sicher Standorte mit stärkerer Sozialstruktur bevorzugten, weil dort mehr Privatpatienten wohnen und so ein besseres Auskommen zu erzielen ist.
Bedarfsplanung der KV veraltet
Uwe Brock, Vorsitzender der Ärztekammer Mülheim, widerspricht vehement. Die Bedarfsplanung der KV fuße auf 20 Jahre alten Daten. Damals habe man festgelegt, dass in Städten des Ruhrgebietes eine Hausarztstelle für 2154 Einwohner freigegeben werde, während in anderen Großstädten 1500 bis 1700 Einwohner reichten, um eine Hausarzt-Zulassung zu begründen. Wähle man diese Bewertungsmaßstäbe, gebe es in Mülheim eine Unterversorgung. Brock setzt seine Hoffnung auf ein neues Versorgungsgesetz, das auch die Demografie und den Gesundheitszustand der Bevölkerung als Maßstäbe berücksichtigt.
Schon jetzt, so Brock, würden in Styrum 10 % der Mülheimer Bevölkerung von nur 6 % der in Mülheim ansässigen Hausärzte versorgt. Die Situation werde sich weiter verschärfen, auch weil es an Nachwuchsmedizinern mangele. Heute kämen so wenige Allgemeinmediziner von der Uni, dass nur 40 % des Nachwuchsbedarfes gedeckt würden. Und diese 40 % pickten sich schließlich die Rosinen raus – das seien eben nicht die sozial schlechter gestellten Standorte wie Styrum.