Mülheim. . Vor 30 Jahren gründeten sich die Grünen, heute gehören sie zum politischen Establishment. Ein Interview mit Wilhelm Knabe, dem Mülheimer Gründungsvater der Grünen, über die Entstehung und die Zukunft der Partei.
Vor 30 Jahren lehrten die Grünen das politische Establishment das Fürchten. Heute gehören sie selbst dazu und stellen demnächst in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten. Vor diesem Hintergrund fand das Gespräch mit Wilhelm Knabe statt, dem Mülheimer Gründungsvater der Grünen. Knabe spricht über den Werdegang und die Perspektiven seiner Partei.
Warum wurden Sie vor 30 Jahren ein Grüner?
Wilhelm Knabe: Ich war zu der Ansicht gelangt, dass es eine Partei geben muss, die auf den Umweltschutz Rücksicht nimmt und nicht in einer blinden Bauwut eine Straße nach der anderen durch die Landschaft zieht.
Was waren das für Leute, die mit Ihnen die Grünen aus der Taufe gehoben haben?
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Knabe: Es waren vor allem Schüler, Studenten und Lehrer. Arbeiter und Handwerker waren unterrepräsentiert. Ich hoffe, dass sich das jetzt langsam ändert. Aber bis heute sind die Bildungsbürger bei den Grünen besonders stark vertreten, weil in dieser Gruppe das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Wandels und einer nachhaltigen Politik besonders ausgeprägt ist.
Was macht aus Ihrer Sicht die Erfolgsgeschichte der Grünen aus?
Knabe: Ich habe schon bei der Gründung der Grünen in NRW maßgeblich geholfen, den Einigungsprozess zwischen Wertkonservativen und Linken zustande zu bringen. Wir Ökologen haben die Linken damals mit dem grünen Bazillus infiziert. Ich habe mich schon damals dafür stark gemacht, die Links-Rechts-Elle aufzuheben, weil ich sah, dass es andere Werte, zum Beispiel die Ökologie, geben musste, nach denen sich Politik ausrichten muss.
Es gab anfangs einige, die die Grünen als Antipartei mit rein basisdemokratischem Charakter begriffen. Das wurde dem Wunsch vieler Menschen nach stabilen Strukturen und konkreten Spielregeln nicht gerecht. Wir haben als Grüne viele aktive Menschen von dem Zwang befreit, nur gegen den Staat zu sein. Wir haben sie dazu gebracht, nicht nur Utopien anzuhängen, sondern konkrete Ziele zu formulieren und zu erreichen. Die Grünen haben das Bewusstsein geschärft, dass jeder dort, wo er wohnt, für seine Umwelt mitverantwortlich ist.
Heute sind die Grünen eine etablierte Partei. Was bedeutete es vor 30 Jahren, ein Grüner zu sein?
Knabe: Die ersten Grünen waren mutige Menschen. Denn es war damals kein Zuckerschlecken sich für die Grünen zu engagieren. Wer sich offen zu den Grünen bekannte, wurde nicht selten diffamiert oder auch am Arbeitsplatz gemobbt. Aber wir spürten eben nicht nur eine Loyalität gegenüber unserem Arbeitgeber, sondern auch gegenüber unserer Umwelt.
Was müssen die Grünen angesichts des zunehmenden Machterwerbs tun, um sich treu zu bleiben?
Knabe: Die Grünen sind auf einem guten Weg, weil sie jetzt die Chance haben, steuernd einzugreifen und die Gesellschaft davon zu überzeugen, ihre Zukunft nachhaltig zu gestalten. Wenn die Grünen jetzt auf dem Weg sind, eine Volkspartei zu werden, dann können wir uns nicht einseitig auf ein Thema konzentrieren. Dann ist es unsere erste Aufgabe, die Menschen, sowohl in der Umwelt- und Bildungspolitik als auch in der Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, davon zu überzeugen, dass ein nachhaltiges Handeln immer besser ist, als eine nur kurzfristig abgestimmte Politik und Wirtschaft, die immer nur kurzfristige Gewinne im Auge hat statt auf langfristige Folgen und Chancen zu achten.
Deshalb freue ich mich auch darüber, dass die Grünen mit einem Ministerpräsidenten in einer grün-roten Koalition die Möglichkeit bekommen, nicht nur in einer Landesregierung mitzuwirken, sondern auch ihre Politik maßgeblich mit zu bestimmen. Damit ist auch der Weg zu einem grünen Bundeskanzler geöffnet worden.