Mülheim. .
Fast eine Stunde hat der Einkauf gedauert und die junge Frau hockt immer noch auf dem Boden vor dem Laden. Sie kniet auf zwanzig Zentimeter Pappe vor einem Discounter in Heißen, trägt eine schmutzige Strickjacke und meidet den Blickkontakt. Kunden eilen mit Einkaufswagen an der Bettlerin vorbei, der ein oder andere wirft einen Euro in ihren Kaffeebecher. Ab und an gibt sie ein leises Stöhnen von sich, sie sitzt hier mehrmals in der Woche, im Schnee und bei Regen. Später verschwindet die Frau und ein Mann, offenbar gleicher Herkunft, kniet sich auf den Pappfetzen, den Becher in der Hand. Auf diese Weise betteln womöglich organisierte Banden in der Innenstadt und den Stadtteilen gezielt vor Geschäften und Discountern – dort sitzt das Geld lockerer.
Vermehrtes Betteln
„Es sind vermehrt Bettler auf den Straßen unterwegs“, sagt Polizeisprecher Raymund Sandach. Doch solange das Betteln nicht in aggressiver Form stattfinde, „können wir polizeirechtlich nicht dagegen vorgehen.“ Soll heißen: Die Polizei kann erst aktiv werden, wenn Straftaten vorliegen. „Solange stehen sie nicht unter besonderer Beobachtung“, so Sandach. Es gibt Menschen, die unverschuldet in Armut geraten und solche, die professionell betteln – doch das System dahinter aufzudecken ist schwierig.
Denn: „In dieser Form ist Betteln durchaus erlaubt“, erklärt Stadtsprecher Volker Wiebels. Da das Betteln im öffentlichen Raum stattfindet, habe das Ordnungsamt rechtlich gesehen keine Handhabe. „Solange sie still und nicht aggressiv betteln, also auf Leute zugehen, sie ansprechen oder ihnen den Weg versperren, kann das Ordnungsamt nichts dagegen unternehmen.“ Dies regelt Paragraf 3 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. In diesem ist das stille Betteln nur verboten, wenn minderjährige Kinder und Jugendliche daran beteiligt sind.
Nicht hinter jedem Bettler stecken kriminelle Banden
Häufig sitzen die elend anmutenden Menschen auf dem Postparkplatz am Hauptbahnhof, vor einem Discounter am Tourainer Ring, an der Leineweber Straße (Nähe Kaiserplatz) oder den Einkaufsläden am Wiescher Weg in Heißen. Sie hocken dort still, stören niemanden und doch löst ihr Anblick Mitleid und auch Bedenken aus – sollte man ihnen Geld geben, um zu helfen, oder landet jeder Euro bei den Hintermännern, in einer kriminellen Vereinigung?
„Ihnen Geld zu geben, liegt im Ermessen jedes Einzelnen“, erklärt Polizeisprecher Raymund Sandach. Man könne nicht automatisch davon ausgehen, dass hinter jedem Bettler kriminelle Banden stehen. Häufig habe die Polizei aber beobachtet, dass im Familienverband gebettelt werde. Ein System steckt also wohl dahinter – die Bezirksbeamten der Polizei hätten die Lage unter Beobachtung. „Beschwerden gibt es aber nur vereinzelt.“
Auch der zentrale Außendienst des Ordnungsamtes fahre regelmäßig die Schwerpunkte der Bettler an und schaue nach dem Rechten, so Wiebels. „Die Mitarbeiter haben die gesamte Szene im Blick.“