Bottrop.

Patrick ist nicht obdachlos, aber was er zum Leben benötigt, schnorrt er sich zusammen. Viele Passanten kennen ihn, oft bleiben sie stehen, unterhalten sich, stecken ihm ein paar Münzen zu. Sie sind großzügiger im Advent.

Patrick sagt, er stammt aus Oberhausen. Sein Vater sei Doktor der Altphilologie. Kann man sich das ausdenken? Altphilologie, die Wissenschaft der klassischen griechischen und römischen Literatur! Patricks Ansichten sind streitbar, aber er kann argumentieren, wirkt glaubwürdig.

Als ein Lebenskünstler bezeichnet er sich. „Penner ist ein ganz schlimmes Wort“, sagt er. Er ist höflich, hört gut zu und überlegt, bevor er antwortet. Die Leute sprechen oft mit ihm, seinen Namen kennen die wenigsten.

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Von DerWesten

Patricks Eltern hätten ihn adoptiert, wie eine seiner beiden Schwestern auch. Mit sieben folgte das „ersehnte leibliche Kind“ in der Familie. Die Mutter verstarb, als er vierzehn war. Danach habe er es daheim nicht mehr ausgehalten. Er sagt, er sei geschlagen und eingesperrt worden. Wie Aschenputtel habe er sich gefühlt, hätte Drecksarbeit machen müssen - zu viel für ihn. Er riss aus und lebte das erste Mal auf der Straße. Heute glaubt er, seine Kindheit habe seine Biografie nicht beeinflusst. „Vielleicht war ich schon immer ein Rebell.“

Patrick liest. Die Beat-Generation, wen wundert es, mag er. Jack Kerouac, „On the Road“, auch T.C. Boyle und Charles Bukowski. Viel Freiheit und wenig Kompromisse - ein romantischer Traum mit tristem Erwachen.

Obwohl er früh Erfahrungen mit der Straße gemacht hat, ging er weiter zur Schule, bis zum bestandenen Abitur. Auch beim Bund war er, allerdings nur acht Monate, dann wurde er entlassen - wegen seiner Kifferei. „Mit Drogen hab’ ich nichts am Hut, und Marihuana zähle ich nicht dazu. Alkohol niemals.“

Fünf Euro in der Stunde

Sein Einkommen schwankt. Vielleicht fünf Euro in der Stunde, die er zugesteckt bekommt. Zum Leben benötigt er 15 Euro am Tag. Für Zigaretten, für Essen, für seine Hündin „Brezel“. Ein wenig Geld liegt bereit, wenn er mal neue Schuhe braucht. Hin und wieder treibt es ihn auf die Rennbahn. Nicht zum Wetten, sondern weil ihn die Pferde so faszinieren.

Nach der Bundeswehr entschloss er sich zu studieren. Biologie. Er wollte Zoologe werden. Das Studium beendet, absolvierte er eine Lehre zum Pferdewirt mit Fachrichtung Trabrennen. Gearbeitet hat er in Gelsenkirchen, in Dinslaken und in Münster. Danach ging es bergab.

Erst kam die Arbeitslosigkeit, später das Beziehungs-Aus zur Lebensgefährtin, Mutter seiner beiden Kinder: „Auseinandergelebt und getrennt.“ Die beiden Kinder, Liv und Erik, sind bei der Mutter in Köln. „Sie kann mit meiner Situation leben.“ Wie er stamme sie aus der linksalternativen Szene. Sie arbeitet als Bühnenbildnerin in Köln. Kontakt besteht, aber er wünscht sich mehr Zeit. Sorgen kann er für seine Familie nicht. Ob er das gerecht findet, sagt er nicht.

Einmal sei er wegen Schwarzfahrens für zwei Tage ins Gefängnis gekommen, wenn er daran denkt, muss er unweigerlich mit dem Kopf schütteln: „Andere Menschen reißen ganze Staaten in den Bankrott, aber ich muss wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis.“

Bevor Patrick ein Bettler wurde, wagte er zunächst das große Abenteuer. Mit dem Auto bis nach Griechenland: „Ich hatte die Schnauze einfach voll.“ Das Auto überstand den Ausflug nicht, ebenso wenig die Reisekasse. Über Italien, Frankreich und die Schweiz kehrte er nach Deutschland zurück. In Italien, in Taranto, direkt am Hacken vom Stiefel, sei er einmal verhaftet worden. Zusammen mit seinem Hund war er eines Nachts über eine Militärbasis gelaufen. „Die dachten wohl, ich hätte Böses im Sinn“, sagt er, dreht sich eine Zigarette und grinst.

Am Ende sieht sich Patrick nicht

Patrick hat ein Dach überm Kopf, er wohnt in einem Zimmer bei Freunden, die er noch aus seinem Studium kennt. „Ich stehe jeden Tag gegen acht Uhr auf, packe meine Sachen und laufe nach Bottrop - jeden Tag.“

Am Ende sieht sich Patrick nicht. Aber Hündin Brezel bereitet ihm Sorgen. „Sie ist alt und baut ab. Ich habe sie geschenkt bekommen, damals noch in besseren Zeiten.“

Seit vier Jahren kommt er täglich nach Bottrop auf die Hochstraße. Betteln ist für ihn Arbeit. Doch die Unsicherheit macht ihm zu schaffen. Er weiß, er will zurück ins Leben. „Ich habe nichts gegen Arbeit“, sagt er. Und seine jetzige Lage? „Kalt. Ja, sicher“. Man gewöhne sich aber daran. „Mir fehlt nicht viel. Das einzige, was ich wirklich brauche, ist eine Krankenversicherung“, sagt er. Seine Zähne seien in schlechtem Zustand. Dazu habe er Hepatitis C.