Mülheim. .

Mach es zu deinem Projekt! Jürgen Bohlmann (76) musste gar nicht erst aufgefordert werden. Für das Modellprojekt „Simply City“ war er sofort Feuer und Flamme. Jetzt gibt er alles, um Mülheims Schilderwald zu lichten.

Ende 2009 fiel in Mülheim der Startschuss für das Landesmodellprojekt „Simply City“ – in den Gebieten rund um den Heißener Markt, die Mellinghofer und die Leineweberstraße will die Stadt den öffentlichen Verkehrsraum entrümpeln und unsinnige Schilder sowie sonstiges Mobiliar, das überflüssig erscheint, entfernen. Auch Bürger sind stadtweit aufgerufen, sich zu beteiligen. Einer musste sich gar nicht erst bitten lassen: Jürgen Bohlmann (77) ist schon seit fast zehn Jahren auf diesem Feld aktiv. Seine Notizen füllen einen Aktenordner.

Brief an den Oberbürgermeister

Seit 1997 ist Bohlmann Rentner, 1999 dann brachte ihn ein Erlebnis auf der Leineweberstraße dazu, sich an die Stadt zu wenden. „Mir kam ein Mitarbeiter der Straßenreinigung entgegen, der den Bürgersteig säuberte. An einem Baum lag eine leere Bierdose, die der Mann aber nicht mitgenommen hat. Darauf von mir angesprochen, erklärte er mir, hier gebe es eine Arbeitsteilung, an die er sich halten müsse. Für den Müll unter den Bäumen sei schließlich ,Grün & Wald’ zuständig.“ Kann doch nicht sein, dachte sich Bohlmann und schrieb einen Brief an den damaligen OB Jens Baganz. „Auf eine Antwort“, sagt der 76-Jährige, „warte ich noch heute.“

2001 schaffte Bohlmann aus Gesundheitsgründen sein Auto ab. Seither ist er leidenschaftlicher Spaziergänger – und vermeintlich Irrsinniges im öffentlichen Raum, das ihm ins Auge fällt, wird notiert. Zuerst widmete er sich dem Schilderwald, ein Jahr später katalogisierte er 79 Masten, Pfähle und andere Stangen im Stadtgebiet, die einfach überhaupt keine Funktion mehr zu haben schienen. Aufspüren, aufschreiben, fotografieren.

Simply City kam wie gerufen

Bohlmanns Erfolg hielt sich indes in Grenzen. Immerhin lichtete sich auf seine Hinweise hin der „Mastenwald“ etwas. Er machte weiter. Das Modellprojekt „Simply City“ kam da wie gerufen. Von den mehreren hundert Eingaben zu überflüssigem Straßenmobiliar, die im Amt für Verkehrswesen und Tiefbau eintrudelten, stammt mehr als die Hälfte von Bohlmann. Mit seinem kleinen Buch über deutsche Verkehrszeichen steuert er gezielt Quartiere an und notiert dort alles, was ihm irrwitzig vorkommt, um sein Recherche-Ergebnis später, sorgfältigst sortiert, der Verwaltung zu übergeben. Deren Chef-Verkehrsplaner Roland Jansen gibt sich ganz angetan vom regen Wirken des „ehrenamtlichen Mitarbeiters“. Wie üblich bei den Bürgereingaben zu „Simply City“ werde man auch alle Bohlmann-Listen abarbeiten und vor Ort prüfen, was demontiert werden kann.

Die WAZ begleitete den 76-Jährigen nun bei einer Tour rund ums Forum. Ergebnis: Allein hier notierte Bohlmann 41 Dinge, die seiner Meinung nach nicht sein müssten. Schon am Zeitungshaus an der Eppinghofer Straße stieß er auf etwas, was anderen Passanten wohl gar nicht auffällt, aber überhaupt keinen Sinn (mehr) macht: eine alte Metallvorrichtung der MVG für einen Fahrplan. Nur gibt es hier schon lange keine Haltestelle mehr; sie ist verlegt an die Kaiser- und Leineweberstraße. Also weg damit, fordert Bohlmann.

Unzahl von Park- und Halteverbotsschildern

An der Ausfahrt des Forum-Parkhauses am Dickswall der nächste Unsinn. Ein gebogener weißer Pfeil gibt Rechts als einzige mögliche Fahrtrichtung vor, trotzdem ist auf der gegenüberliegenden Seite der Ausfahrt noch ein Einbahnstraßenschild aufgestellt . . .

Auf der anderen Seite der Hochhäuser, an der Straße „Am Hauptbahnhof“, verwirrt eine Unzahl von Park- und Halteverbotsschildern, jeweils noch mit zwei Zeitangaben versehen. Wer hier durchsteigen will, braucht schon mehrere Gedankengänge. Eine wahre Falle für Fahrschüler. Und ein Fall für Bohlmann.

Wäre doch gelacht, wenn er diesmal keinen Erfolg beim Aufräumen an Mülheims Straßen hätte . . . Letztens unterhielt sich Bohlmann mal wieder mit Verkehrsplaner Jansen über einen vermeintlichen Schildbürgerstreich. Kurze Zeit später wollte Bohlmann noch ein Foto von selbigem machen. Doch, Achtung: Die Stadt hatte das Ärgernis schon verschwinden lassen.