Mülheim. .
Die Krise der Innenstadt ist in vieler Munde. Tim Schiebold kümmert sich seit gut einem Jahr für die Wirtschaftsförderung um Vermarktung und Bestandspflege in der City. WAZ-Redakteur Mirco Stodollick sprach mit ihm.
Herr Schiebold, wann waren Sie zuletzt in der Mülheimer City shoppen?
Tim Schiebold: Ich hab neulich morgens bei Tchibo etwas gekauft.
Das da wäre?
Schiebold: Kaffee.
Kaufen Sie in der City auch mal mehr ein als Kaffee?
Schiebold: Nein, ich komme ja aus Dortmund, am Westenhellweg bin ich gut versorgt. Ich bin allerdings hin und wieder im Rhein-Ruhr-Zentrum. Das bietet sich auf dem Nachhauseweg an.
Im Juli 2009 sind sie als neuer Mann der Wirtschaftsförderung präsentiert worden, unter anderem sollen sie für Neuansiedlungen und Bestandsentwicklung in der City sorgen. Was haben Sie heute auf der Habenseite?
Schiebold: Wir haben eine sehr ausführliche Marktanalyse betrieben. Wir hatten auch Erfolge bei der Ansiedlung, zum Beispiel bei KiK in der Schlosspassage und bei der Zwischenlösung im Woolworth-Gebäude. Wir haben auch geholfen, einige Mieter, die sich am Kaufhof nach außen präsentieren, an der Friedrich-Ebert-Straße zu halten. Darüber hinaus haben wir viele Kontakte zu Eigentümern und Maklern geknüpft. Das war insgesamt eine sehr gute Zusammenarbeit, vor allem mit unseren Maklern. Mit den Eigentümern waren die Gespräche nicht immer so, wie ich mir das vorgestellt habe.
Warum nicht?
Schiebold: Ich sehe bei einigen wenigen Eigentümern kein Entgegenkommen. Nach meiner Analyse, die sich mit denen von vielen Experten deckt, werden die Lokale zu relativ hohen Preisen angeboten, die momentan in der City aber nicht gezahlt werden.
Die City steckt in der größten Krise, seit die Schloßstraße Anfang der 70er Jahre zur ersten innerstädtischen Fußgängerzone Deutschlands umgebaut wurde. Steckt die City so lange in der Sackgasse, wie die Pläne für das Ruhrbanium am Kaufhof-Standort nicht Realität werden?
Schiebold: Der Handel befindet sich generell in einer schwierigen Phase. Städte, die in der Dimension ähnlich strukturiert sind, haben allesamt Schwierigkeiten. Natürlich ist der Kaufhof eine wichtige Immobilie. Man muss etwas Geduld haben mit diesen Standorten. Erste Ergebnisse einer derzeit an der TU Hamburg-Harburg entstehenden Dissertation zu Hertie-Immobilien zeigen, dass teilweise zwei bis vier Jahre vergehen, bevor eine Nachnutzung gefunden wird. Das wünschen wir uns für Mülheim natürlich nicht. Es arbeitet ja auch schon jemand an dem Thema. Man muss den Projektentwicklern Zeit geben, um eine vernünftige Akquise zu betreiben.
Der schlimmste Fall: Was hätte es für Folgen für die Schloßstraße, wenn am Kaufhof-Standort vier Jahre nichts passiert?
Schiebold: Man sieht jetzt schon deutlich, dass es für uns nicht leichter wird, gerade an der unteren Schloß- und an der Friedrich-Ebert-Straße zu vermarkten. Die Frequenz dort nimmt deutlich ab.
Was könnten Übergangslösungen sein?
Schiebold: Da sind die Eigentümer im Boot. Man muss mit Sicherheit mal über die eine oder andere Mietgeschichte nachdenken, sich auch vorzeitig austauschen. Es gibt an einigen Gebäuden einen großen Investitionsstau. Wir wollen Vertrauen aufbauen, so dass die Leute merken, dass wir fachliche Kompetenz haben. Mein Ziel ist zuvorderst eine Vermietung. Auch ein Eigentümer kann sich nicht nur am maximalen Mietpreis orientieren. Denn keine Miete kann auch keine Alternative sein.
Ist Ihre Devise also: Hauptsache, der Laden ist voll?
Schiebold: Nein, wir wollen schon eine gewisse Qualität. Diese wird durch den Markt bestimmt. Wir werden bei den Mieten in den Seitenlagen deutlich runtergehen müssen. Aber mit der Leineweberstraße haben wir eine Nebenstraße, die gut besetzt ist. Natürlich haben wir da auch Mäc-Geiz, aber auch Mäc-Geiz oder KiK haben eine Daseinsberechtigung. Sie hätten sich nicht so auf dem Markt ausgebreitet, wenn es die Nachfrage nicht gäbe.
Die Mülheimer, die die überdurchschnittlich gute Kaufkraft der Bürgerschaft im Durchschnitt hochhalten, werden durch immer mehr solcher Angebote sicher weiter abgeschreckt.
Schiebold: Wir haben in der Innenstadt auch mehrere höherwertige Läden. Darunter inhabergeführte, die sehr intensives Marketing betreiben. Das sind Händler, die sehr rührig sind.
Wenn die große Investition des Eigentümers in die Immobilie ausbleibt: Was kann der Handel selbst tun, um Kunden anzusprechen, anzulocken?
Schiebold: Wenn ich in einen Laden gehe, ist mir immer am wichtigsten: Es muss ordentlich, gepflegt, sauber und das Personal freundlich sein. Ich glaube, damit kann man sich relativ schnell unter dem Aspekt des qualitativen Einkaufs einen Namen als Dienstleistungsbetrieb machen. Ansonsten gibt es Marketing-Aktionen, das ist dann das Geschäft der MST. Aber auch da ist man auf die Mitwirkung des Handels angewiesen. Es gibt ja auch einige Händler hier, die sich immer wieder für den Standort engagieren.
Dafür ist die Werbegemeinschaft mit ihren wenigen Mitgliedern aber zu schwach aufgestellt, oder?
Schiebold: Nein, das glaube ich nicht. Mit Sicherheit würde sich die WGI aber über mehr Resonanz freuen.
Anderswo mieten Händler aus der Kasse der Werbegemeinschaft einen Leerstand an, machen eine Kinderbetreuung rein, oder organisieren einen Bringservice für eingekaufte Waren. So was sieht man in Mülheim nicht.
Schiebold: Nehmen Sie die Buchhandlung Fehst, die sich am Löhberg angesiedelt hat. Da gibt es zahlreiche Aktionen und Lesungen. Der Buchhändler hat angefangen, sich zu profilieren, und hat selbst Initiative ergriffen. Das ist sicher der richtige Weg. Jeder so, wie er es kann.
Fehlt der Innenstadt nicht, trotz einiger ansprechender Lokale, noch ein Schuss gastronomisches Flair? Es muss ja nicht gleich ein zweites Bermuda-Dreieck werden.
Schiebold: Da stimme ich Ihnen zu. Wir haben mit der ehemaligen Corazon-Immobilie ein Objekt, das sich sehr gut für die gastronomische Nutzung eignet. Dass es noch zu keinem Abschluss gekommen ist, liegt an den hohen Innenausbaukosten, die vom Mieter getragen werden müssen. So viele andere Flächen bieten sich für Gastronomie aber nicht an.
Die Leineweberstraße mit ihrer Allee und dem breiten Fußgänger-Stück schreit eigentlich geradezu nach gastromischer Nutzung. Beispiel Maredo: Hier untersagte die Stadt den Betreibern, Tische nach draußen zu stellen. Bremst man damit eine mögliche Entwicklung?
Schiebold: Nein, sehe ich nicht so. Für mich war es nicht überraschend, als Maredo gesagt hat, sie verlassen den Standort. Die Leineweberstraße ist stark befahren. Aufgrund der Lautstärke bietet sie sich weniger für eine gastronomische Nutzung an.
Wann werden endlich alle Akteure der Schloßstraße, von Immobilieneigentümern über Makler, Händler und Stadtplaner, in einer Interessengemeinschaft an einen Tisch geholt? Das haben Sie bei Ihrem Start vor einem Jahr angekündigt.
Schiebold: Das Thema Interessen- und Standortgemeinschaft ist nicht bei uns gelandet, das macht Herr Fischer von der MST. Die Stadtmarketinggesellschaft hat sich auch sehr aktiv darum bemüht, und zwar an der Leineweberstraße.
Wie begründen Sie Ihre Hoffnung für die City? Die Konkurrenz in Duisburg, Essen und Oberhausen, Düsseldorf mal ausgespart, schläft ja nicht. Sie wächst gar noch.
Schiebold: Wir wünschen uns eine prosperierende Innenstadt. Ich denke auch, dass zum Beispiel das Forum ein gutes Angebot hat. Dort konnten ja gerade wieder einige Flächen nachvermietet werden. Das zeigt auch, dass institutionelle Eigentümer, die nicht vor Ort sind, an den Standort glauben. Sonst würden sie nicht so einen hohen Betrag in die Hand nehmen für die Modernisierung des Forums.
Die Schloßstraße gibt aber ein ganz anderes Bild ab als das Forum.
Schiebold: Alles aus einem Guss zu gestalten wie in einem Shoppingcenter ist für eine Einkaufsstraße nicht möglich. Die Innenstadt kann mit inhabergeführtem Handel und durch Individualität punkten. Die gesunkenen Mieten stellen vielleicht eine Chance für den inhabergeführten Handel dar.
Man merkt: Sie sind noch nicht so lange in Mülheim. Bislang haben Sie in unserem Gespräch nicht einmal mit Ruhrbania als die Entwicklungschance für die City argumentiert.
Schiebold: Natürlich werden uns die großen Projekte Ruhrbania und Ruhrbanium einen wichtigen Impuls geben. Gerade gastronomisch wird durch Ruhrbania eine deutliche Aufwertung des Standorts erzielt werden. Ähnliche Großprojekte haben schließlich auch Duisburg neuen Schwung gebracht.
Ihre Prognose: Wie wird sich der City-Standort in zehn Jahren präsentieren?
Schiebold: Meine Wunschvorstellung: Wir haben unsere Knochenstruktur mit dem Forum auf der einen und dem Ruhrbanium auf der anderen Seite der Schloßstraße wieder. Wir haben teilweise gehobenes Wohnen durch Ruhrbania. Wir haben mehr Gastronomie durch Ruhrbania, aber auch in der Innenstadt. Und ich würde mir wünschen, dass gerade die Mülheimer zurück in die Innenstadt kommen. Wir sind ja hier ein Nahversorgungsstandort. Duisburg hat viele Bürger zurückgewonnen durch Großprojekte. Ich denke da an das Forum. Duisburg hatte genau die gleichen Probleme, die wir haben. Da hat man gezielt durch zwei, drei Großprojekte Kaufkraft wieder zurückgeholt. Man muss bei diesem Vergleich aber einschränkend sagen: Duisburg hat allein wegen seiner Größe eine andere Sogkraft.
Danke für das Gespräch. Wenn Sie dieses Café jetzt verlassen: Welchen Laden in der City würden Sie am liebsten ansteuern, um was zu kaufen?
Schiebold: Weil ich gerne Sport mache, würde ich zu Intersport gehen und mir Laufkleidung kaufen.