Mülheim. Der Mülheimer Polizeibeamte Robert Reith starb nach einem Kneipenbesuch durch mehrere Schüsse. Wieso der Fall eine unerwartete Wendung nahm.

Am 1. April 1950 – vor genau 74 Jahren – kam es in Mülheim zu einem tragischen Ereignis, das medial große Wellen schlug, die hiesige Stadtgesellschaft über längere Zeit bewegte und an dessen Ende unerwartet ein außergewöhnliches Zeichen großer Menschlichkeit stand. Der Mülheimer Polizeibeamte Robert W. Reith wurde ermordet.

Was war genau geschehen? Nachdem Deutschland fünf Jahre zuvor den Krieg verloren hatte und die alliierten Streitkräfte das ehemalige Nazi-Reich unter ihre Kontrolle gebracht hatten, wurden sowohl in der britischen Besatzungszone, zu der auch Mülheim gehörte, als auch in den einzelnen Städten der Zone Militärregierungen eingerichtet, die das Kommando über ihre Zuständigkeitsgebiete hatten.

Mülheimer Polizeimeister betreute britische Wachmannschaft

Auch hier in unserer Stadt residierten Angehörige der Besatzungsmacht, unter anderem der britische Zivilkommissar für Nordrhein-Westfalen, General Bishop, der seinen Sitz im „Haus Kreuzberg“ hatte. Zum Schutz des Generals gab es auf dem Grundstück eine deutsche Wache, bestehend aus Mülheimer Polizeibeamten, sowie eine britische Wache, die sich aus jungen Soldaten rekrutierte. Leiter der deutschen Wache war der 37-jährige Polizeimeister Robert Reith, zur britischen Wachmannschaft gehörte beispielsweise der 23-jährige Soldat Gordon Lindsell.

Beide Männer waren an dem schicksalhaften Abend des 1. April Teil einer Gruppe von Polizeibeamten und Soldaten, die im Lokal „Tannenhof“ im Uhlenhorst nach getaner Arbeit in Uniform gemeinsam auf den Feierabend tranken. Im Rahmen des Gaststättenbesuchs kam es schließlich zwischen Reith und Lindsell zu einem thematisch eher unbedeutenden Streit über die Frage, welche Weltkriegsteilnehmer die besseren Qualitäten besessen hatten.

Nach Streit kam es zu tödlichen Schüssen vor der Kneipe

Die scheinbar belanglose Auseinandersetzung wirkte offensichtlich bei Lindsell deutlich stärker nach, als anzunehmen war. Als die Mülheimer Polizeibeamten nach dem Umtrunk auf der Ladefläche eines Kleinlastwagens nach Hause fahren wollten, kam es vor der Tür der Gaststätte zu einem dramatischen Geschehen. Lindsell, offenbar noch in Wut über die vorherige Auseinandersetzung, hob sein Gewehr und feuerte mindestens fünf Schüsse auf den wegfahrenden Lastwagen ab. Reith wurde auf der Ladefläche getroffen und der Wagen samt Besatzung einschließlich des sterbenden Polizeimeisters flüchtete vor dem betrunkenen Soldaten.

Aus der Sicht der Mülheimer Polizei, die nach den tödlichen Schüssen alarmiert worden war, stellte sich das Geschehen folgendermaßen dar: Gegen 00.45 h erhielt der Oberbeamte vom Dienst, Polizeiobermeister Wacker, von einem weiteren Beamten einen Anruf, dass man sich an der Adresse Nachbarsweg 56 aufhalte. Es sei zu einer Schießerei mit einem britischen Soldaten gekommen und man habe den schwerverletzten Kollegen Reith in das besagte Haus getragen. Inzwischen sei Reith an seinen schweren Verletzungen gestorben.

Polizeimeister Robert W. Reith wenige Zeit vor seinem Tod.
Polizeimeister Robert W. Reith wenige Zeit vor seinem Tod. © Privat | Barbara Reith

Mülheimer Polizei berief sofort eine Mordkommission ein

Wacker veranlasste nicht nur, dass Polizeikräfte zum Nachbarsweg entsandt wurden, sondern auch, dass der Chef der Mülheimer Kriminalpolizei, Kriminaloberkommissar Birkhahn, verständigt wurde, der umgehend eine Mordkommission einberief. Der erste Befund, den die Kriminalbeamten vor Ort aufnahmen, las sich im Tatortbefundbericht folgendermaßen:

„Im linken Ärmel des Regenmantels sowie des Uniformrockes und der beiden Hemden des Toten war ein kleines Loch vorhanden, welches vom Einschuss herrührte. Oberhalb der rechten Schulter im Regenmantel, Uniformrock und in den Hemden war ein größeres Loch, nämlich der Ausschuss, sichtbar. Nach Entkleiden der Leiche war deutlichen auf dem linken Oberarm eine kleine Einschusswunde und oberhalb des rechten Schulterblattes eine daumengroße Ausschusswunde zu sehen. Aus der ersten Ausschusswunde flossen an der ersten Lagerstätte etwa zwei Liter Blut heraus. Der gleichzeitig herbeigeholte Amtsgerichts-Rat Pickert nahm in Verbindung mit dem zuerst untersuchenden Arzt Dr. Sennejunker und dem inzwischen herbeigerufenen Polizei-Vertragsarzt Dr. Genkin die erste richterliche Leichenschau vor.“

Fahndung in Mülheim: Todesschütze wurde schnell gefasst

Durch die Mülheimer Polizei und die britische Militärpolizei wurde eine sofortige Fahndung nach dem flüchtigen Todesschützen eingeleitet. Lindsell konnte wenig später festgenommen werden. Einige Tage nach der tragischen Nacht wurde Robert Reith unter großer Anteilnahme seiner Polizeikollegen und der Mülheimer Bürgerschaft beigesetzt. Der junge Polizeibeamte hinterließ eine Ehefrau und drei kleine Kinder.

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Im Sommer 1950 kam es schließlich zu einer Gerichtsverhandlung, in der ein britisches Militärgericht den jungen Soldaten Lindsell zum Tod durch Erhängen verurteilte. Er hatte sich zwar noch mit der Behauptung verteidigen wollen, er habe in Notwehr gehandelt, aber alle Zeugenaussagen und der Befund an der Leiche des Getöteten hatten gegen ihn gesprochen.

Die vorstehenden Informationen konnten aus dem Buch „David, bitte kommen! – Die Geschichte der Polizei in Mülheim an der Ruhr“ entnommen werden. Welche unerwartete Wendung der Fall schließlich noch nahm, konnte kürzlich eine Enkelin des verstorbenen Polizisten, Barbara Reith, beitragen, die ihren Großvater durch seinen frühen Tod nicht mehr kennengelernt hatte, aber aus familiären Erzählungen von dem Geschehen wusste.

Mülheimer Witwe wollte Gnade für den jungen Täter

Nachdem das Todesurteil gegen Lindsell verhängt worden war, quälte sich die Witwe des getöteten Polizeibeamten neben ihrer Trauer und den Sorgen, die sie nun als alleinerziehende Mutter mit einer kleinen Witwenrente hatte, mit der Frage, welche Auswirkungen das Todesurteil wohl auf die Mutter des Täters haben würde. Die Vorstellung vom Leid der Mutter bewegte sie schließlich so stark, dass sie ein Gnadengesuch zugunsten Lindsells an den englischen König richtete.

„Gnade für den Mörder meines Mannes“ - das forderte die Witwe Agathe Reith öffentlich.
„Gnade für den Mörder meines Mannes“ - das forderte die Witwe Agathe Reith öffentlich. © Privat | Barbara Reith

Wie sich herausstellte, war die Mutter des Soldaten schon lange tot, aber der Vater ein einfacher englischer Arbeiter, lebte noch. Tatsächlich befasste man sich in Großbritannien mit dem mitmenschlichen Ersuchen der jungen Witwe. In einer weiteren Entscheidung der britischen Gerichtsbarkeit wurde schließlich von der Vollstreckung des Todesurteils abgesehen. Zeitungsberichte der damaligen Zeit zeugen noch von einem späteren Besuch des Vaters von Lindsell bei der Witwe des Opfers, bei dem er sich von der Mitmenschlichkeit der Frau, die ihren Mann gewaltsam verloren hatte, äußerst bewegt gezeigt haben soll.

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