Mülheim. Zorn, Faulheit und Habsucht halten in Mülheim Einzug. Provokant und feinsinnig beziehen Kunstschaffende der Ruhrgallery Positionen zum Zeitgeist.

„Müßiggang ist aller Laster Anfang“ – wie das Rädchen mit seinen marionettenartigen Fäden treibt auch das Sprichwort ein bizarres Familiengemälde an: der Vater mit Monokel im Geldscheinanzug, die Kinder mit Hitlerbärtchen und Euro-Schnabel. Künstler Georg Overkamp hat seine neue Installation für die Mülheimer Ruhrgallery an Bertolt Brechts und Kurt Weils „Sieben Todsünden“ angelehnt. Die Moral als heuchlerischer Antrieb einer maroden Gesellschaft – Bezüge zu heute dringend erwünscht.

Denn das gilt für Mülheim wie für den Rest der Welt. Sechs weitere Künstler um Overkamp haben für die neuste Ausstellung „Und offen nehmend, was immer er braucht“ die gesellschaftliche Doppelmoral anhand der sieben Todsünden herausgeschält – und zwar durchaus lustvoll für den Besucher.

Zorn: „Ich bin manchmal auch wie ein HB-Männchen“

Mülheim- Ausstellung Sieben Todsünden

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    Da ist der Zorn, den Rebecca Gottschick in teils blutroten Bild-Bearbeitungen gewaltsam ins Betrachterauge springen lässt: eine geballte Faust, ein geifernd aufgerissener Mund, ein Springerstiefel. „Ich bin manchmal auch wie ein HB-Männchen“, sagt sie. Und doch sind ihre explodierenden Bilder alles andere als ein Aufruf zur Gewalt, sondern leben von dem irritierenden Spannungsverhältnis zwischen Lust und Leid.

    „Ich bin manchmal auch wie ein HB-Männchen“: Künstlerin Rebecca Gottschick provoziert mit blutroten bearbeiteten Fotos von Gewalthandlungen.
    „Ich bin manchmal auch wie ein HB-Männchen“: Künstlerin Rebecca Gottschick provoziert mit blutroten bearbeiteten Fotos von Gewalthandlungen. © Dennis Vollmer

    Provokant greift Thomas Schönhagen die Unzucht auf. Nicht umsonst sind seine homoerotischen Darstellungen von sexuellen Praktiken, von spielerischer Dominanz und Unterordnung zwischen Neugier und Entrüstung nur hinter einem Vorhang zu genießen. Denn der ist nicht zuletzt Teil seiner Kunst: der Ausdruck einer Gesellschaft, die längst nicht mehr liberal mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen umgeht.

    Habsucht als raumgreifende Spirale: „Da muss man wieder herausfinden“

    Dagegen erschließt sich die Idee der Installation von Klaus Wiesel erst subtil im Gehen. Eine raumgreifende Litfaßsäule kontrastiert Werbeanzeigen aus Zeitungen des vergangenen Jahrhunderts mit schrillen Imperativen: „Gib mir all dein Geld! Sofort!“ oder dem Symbol einer Schere. Die Habsucht ist das Thema. Das Ende dieser kapitalistischen Spirale mündet in einer Sackgasse: „Da muss man wieder herausfinden“, merkt Wiesel, der Werbegrafiker gelernt hat, feinsinnig an.

    Aus dieser Sackgasse muss jeder selbst wieder raus: Habsucht hat Klaus Wiesel als begehbare Installation aus Werbewänden dargestellt.
    Aus dieser Sackgasse muss jeder selbst wieder raus: Habsucht hat Klaus Wiesel als begehbare Installation aus Werbewänden dargestellt. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

    Der Stolz (Lenny Grüttgen), die Faulheit (Marayle Küpper), die Völlerei (Cornelia Schweinoch-Kröning) und der Neid (Wilfried Weiß) sind weitere Stationen der Todsünden – mal konfrontativ, mal hintergründig – mit denen der Kurator und Künstler Overkamp zum einen den Zeitgeist kitzeln und zum anderen die satirische Oper von Brecht und Weil ehren will.

    Müßiggang ist aller Laster Anfang: Kurator Georg Overkamp ist beeindruckt, wie Brecht und Weil heuchlerische Moral als fatalen Motor für gesellschaftliche Fehlentwicklungen entlarvt haben.
    Müßiggang ist aller Laster Anfang: Kurator Georg Overkamp ist beeindruckt, wie Brecht und Weil heuchlerische Moral als fatalen Motor für gesellschaftliche Fehlentwicklungen entlarvt haben. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

    Kurator Overkamp beeindruckt die Leichtigkeit von Brecht und Weil

    Für Overkamp, der auch Musik studierte, gehört diese letzte Arbeit der beiden schließlich zu den wohl gekonntesten Bühnenstücken. „Mich hat es enorm beeindruckt, wie geschickt Brecht und Weil diesen klerikalen Verfehlungskatalog auf eine kapitalistische Gesellschaft übertragen haben“, schwärmt Overkamp von der Leichtigkeit, mit der der Autor und der Komponist das schwere Thema über die Geschichte der Anna I und Anna II angegangen sind. Dem wollen die heutigen Kunstschaffenden nacheifern.

    Sieben Kunstschaffende, sieben Sünden: Die Vernissage „und offen nehmend, was immer er braucht“ startet am Sonntag um 15 Uhr in der Ruhrgallery an der Ruhrstraße 3.
    Sieben Kunstschaffende, sieben Sünden: Die Vernissage „und offen nehmend, was immer er braucht“ startet am Sonntag um 15 Uhr in der Ruhrgallery an der Ruhrstraße 3. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

    Und zugleich mahnen, wie auch heute Begriffe wie Demokratie und Freiheit durch rechte Rhetorik verdreht werden. Overkamp: „Moral dient auch heute als Propaganda, die man meist auf Plakaten findet, die einen blauen Hintergrund haben...“

    Die Vernissage von „Und offen nehmend, was immer er braucht“ startet am Sonntag, 29. Oktober, um 15 Uhr in der Ruhrgallery, Ruhrstraße 3. Die Besuchszeiten der Ausstellung sind Do. und Fr. von 16 bis 18 Uhr, Sa. und So. von 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung. Kontakte: Georg Overkamp, 0152 31 71 10 49, overart@email.de und Alexander-Ivo Franz, 0208 46 94 95 67, info@galerie-an-der-ruhr.de. Der Eintritt ist frei

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