Mülheim. Auf dem kleinsten Vollerwerbshof Mülheims wird vieles anders gemacht. Wie man als Einzelkämpfer überlebt und wie es ums Hofcafé steht.

Wer in Mülheim eine Zeitreise machen will, muss sich an die alten Höfe der Stadt halten. Viele von ihnen blicken auf eine jahrhundertealte Tradition zurück und prägen ihre Stadtteile bis heute. Doch die Landwirtschaft hat sich massiv verändert. In unserer neuen Serie fragen wir nach, wie es sich in modernen Zeiten auf alten Höfen leben lässt.

„Das schönste Fachwerkhaus Raadts ist ohne Zweifel der Hof Krämer auf der Heidt“, schwärmt Andreas ten Brink in dem Buch „Menden in Mülheim an der Ruhr. 1200 Jahre Geschichte“. Wenn man bedenkt, dass er ein ganzes Buch über alte Höfe in Mülheim geschrieben hat, ist das als Auszeichnung zu verstehen. Allerdings kennt man dieses Kleinod heute unter einem anderen Namen: Der Biohof Felchner, gelegen am Bollenberg hinter dem Flughafen Essen-Mülheim, ist von so viel nostalgischem Charme umrahmt, dass man glauben könnte, in ein Zeitloch gefallen zu sein.

Seit 800 Jahren wird auf diesem Mülheimer Fleckchen Erde Landwirtschaft betrieben

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Vor der Tür steht ein Traktor aus den Siebzigern, in den Fenstern hängt alte Spitze, in der Stube knistert das Feuer im Holzofen und wirft ein warmes Licht auf die unverkleidete Balkendecke. Je weiter man ins Hausinnere geht, umso tiefer scheint man in die Vergangenheit zu reisen. „Oben ist alles noch original, da ist nie etwas umgebaut worden“, sagt Klaus Felchner und legt noch ein Holzscheit nach. Kaum zu glauben, aber wahr: Das 1772 erbaute Bauernhaus mit vielen Räumen für Mägde und Knechte ist innen wie außen nahezu originalgetreu erhalten. Es lasse „den Reichtum der ehemaligen Besitzerfamilie Krämer erahnen“, schreibt Andreas ten Brink. Heute spürt man zwischen den abgenutzten, von vielen Schritten geformten Holzstufen vor allem eine Form von Demut, die entsteht, wenn Menschen tief mit einem Ort verwurzelt sind.

Auf dem Biohof Felchner wird vor allem Obst angebaut, aber auch Tomaten, Kräuter, Salat und Kürbisse.
Auf dem Biohof Felchner wird vor allem Obst angebaut, aber auch Tomaten, Kräuter, Salat und Kürbisse. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Seit 800 Jahren wird auf diesem Fleckchen Erde nachweislich Landwirtschaft betrieben. Monika und Klaus Felchner führen den Hof in sechster Generation. Doch bei all der Verbundenheit – landwirtschaftlich haben sie den Laden seit der Übernahme 1993 ziemlich auf den Kopf gestellt. Als Erstes stellte Klaus Felchner, der als Schwiegersohn auf den Hof kam, auf Bio-Landwirtschaft um. Dann wurde klar: Auf der inzwischen recht kleinen Wirtschaftsfläche von nur noch drei Hektar lässt sich kaum ein Auskommen erzielen. Immerhin ist der Felchner-Hof der kleinste Vollerwerbshof der Stadt. „Wir hatten damals nur eine Chance und das war die Nische“, erinnert sich Klaus Felchner. So kamen Himbeeren, Johannisbeeren, Kirschen, Pfirsiche und alte Tomatensorten auf den Hof, auf dem es immer nur Getreide- und Viehwirtschaft gegeben hatte.

Viele Mülheimer haken nach, ob das urige Hofcafé wieder öffnet

Die Felchners vermarkten ihre Produkte selbst, möchten direkt mit den Menschen in Kontakt treten, die ihre Erzeugnisse kaufen. „Das hat etwas mit Vertrauen zu tun.“ Eine wichtige Rolle spielte dabei auch ihr beliebtes Hofcafé, dem allerdings 2020 vom Bauordnungsamt der Betrieb untersagt wurde. Seitdem ist das Café geschlossen und Felchner wird ständig gefragt, wann es denn wieder den gefragten Kuchen und die herzhaften Suppen in uriger Atmosphäre gebe. Klaus Felchner kann dann nicht viel mehr tun, als mit den Schultern zu zucken. „Die Baugenehmigung ist beantragt, wir haben einen Prüfstatiker, einen Landschaftsarchitekten und einen Brandgutachter eingeschaltet.“ Es gehe hin und her und doch nicht voran. Trotzdem bleibe man weiter an der Sache dran. „Man weiß ja nicht, was unsere Töchter mal vorhaben.“

Na, sind die Muskattrauben reif? „Der Juli war zu kühl. Die haben nicht genug Sonne abbekommen, um süß zu sein“, sagt der Chef. Macht nichts, dann wird Traubenessig draus gemacht.
Na, sind die Muskattrauben reif? „Der Juli war zu kühl. Die haben nicht genug Sonne abbekommen, um süß zu sein“, sagt der Chef. Macht nichts, dann wird Traubenessig draus gemacht. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Drei erwachsene Töchter haben die Felchners. Eine von ihnen fährt beruflich 40-Tonner, weil das immer schon ihr Traum war, eine studiert Psychologie, die dritte kümmert sich mit der Mutter um die Direktvermarktung der Erzeugnisse. Alle drei sind weiterhin in das Hofleben einbezogen und arbeiten an den Markttagen mit, die für das Überleben des Hofes essenziell sind. Mittwoch und Samstag stehen die Felchners auf dem Wochenmarkt in Rüttenscheid, Samstag auch in Frohnhausen, Donnerstag in Holsterhausen. Freitags öffnet der hofeigene Laden am Bollenberg.

Schlüsselmoment führte den Mülheimer Bauern zur Bio-Landwirtschaft

Klaus Felchner ist ein streitbarer Mann, hat vor Jahren mit anderen eine geplante Erweiterung des Mülheimer Flughafens verhindert. Man traut ihm zu, dass er an einer Sache dranbleibt. Nicht aus Ideologiegründen, sondern aus Überzeugung. Genauso ist es mit der Landwirtschaft. Er erinnert sich noch genau an den Schlüsselmoment, als ihm klar wurde, dass konventionelle Landwirtschaft nicht sein Weg sein wird. „Ich las ein Buch namens Silent Spring. Ein ganz langweiliges Buch, voller Zahlen. Aber ein Augenöffner. Am Ende stand ich da und dachte: Wie sind wir Menschen so weit gekommen, dass wir alle unsere Lebensmittel belasten?“

„Der Landwirt der Zukunft muss flexibel sein“, ist er sicher. „Wir werden erleben, dass Pflanzen, die hier früher einträglich waren, nach Schweden und Norwegen abwandern. In Deutschland werden wir Feigen anbauen ohne Ende. Die Süßkartoffel kommt. Die Sojabohne wird jetzt schon in Norddeutschland angebaut. Das hat vor ein paar Jahren niemand geglaubt.“

In jüngster Zeit setzt Felchner immer mehr auf Permakultur, bepflanzt seine Böden dicht mit Pflanzen, die sich ergänzen und gegenseitig Schatten spenden. „Eine Bewässerung ist bei uns nicht nötig.“ Denkt so einer wie er mit seinen 70 Lenzen auch manchmal an den Ruhestand? „Man fährt zurück, hört aber nicht auf. Warum auch? Ich mache jeden Tag Urlaub auf dem Bauernhof.“

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