Mülheim. Mülheimer Friseurbetriebe klagen über hohe Kosten und miserable Bewerbungen. „Bald haben wir nur noch Barbershops“, so die Befürchtung.

Das neue Ausbildungsjahr hat gerade begonnen, doch nicht im Salon von Sabine Walden (Name geändert). Bei der Friseurmeisterin, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, beginnt es mit dem bewährten Team und mit Bedauern. Die Mülheimerin führt einen traditionsreichen Betrieb und hatte, wie sie berichtet, immer Azubis. „Seit 40 Jahren. Früher haben bei uns in jedem Lehrjahr drei neue Leute angefangen.“ Diesmal startet niemand.

Die Meisterin sagt: „Ich kann keinen Lehrling bezahlen.“ Es liege an der Erhöhung des Mindestlohnes, die sie nicht an die Kundschaft weitergeben könne. Der gesetzlich garantierte Stundenlohn ist im Oktober vergangenen Jahres von 10,45 auf 12 Euro pro Stunde gestiegen, ab 1. Januar 2024 werden es 12,41 Euro sein. Sabine Walden versichert, sie würde sehr gerne ausbilden - „doch es geht einfach nicht. Bitter. Sehr bitter.“

Ausbildungssituation im Mülheimer Friseurhandwerk „schlecht“

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Die Ausbildungssituation sei „schlecht“, sagt auch Ralf Wüstefeld, Obermeister der Friseurinnung in Mülheim, der rund 40 Betriebe angehören. Aktuell seien stadtweit neun neue Azubis gestartet - „wir hoffen, dass im September noch zwei bis drei dazukommen werden“. Im Ausbildungsjahr 2022 waren es zunächst 20 Ausbildungsverträge, „wovon zehn wieder gelöst wurden“, in 2021 insgesamt 13 neue Azubis.

In Mülheim gibt es deutlich mehr Friseursalons als Innungsmitglieder. Wüstefeld beziffert die Gesamtzahl der Betriebe auf etwa 140, ergänzt aber: „Barbershops gehören mit dazu.“ Wer den Beruf erlernen möchte, lebt von Anfang an mit schwacher Bezahlung, obwohl es Tarifsteigerungen gab. Die Ausbildungsvergütung für angehende Friseurinnen und Friseure liegt nach Angaben der Innung aktuell im ersten Jahr bei 665 Euro, steigert sich bis auf 900 Euro.

Mülheimer Friseurmeisterin konnte Auszubildende nicht übernehmen

Ihre letzte Auszubildende sei gerade fertig geworden, sagt Sabine Walden. Sie konnte sie nicht übernehmen, die junge Frau habe eine andere Stelle gefunden. Eine andere junge Kollegin habe sie übernommen, doch diese voll ausgebildete Friseurin möchte nicht mehr direkt an der Kundschaft arbeiten. „Sie unterstützt uns jetzt im Hintergrund, hilft bei der Farbe, macht Wimpern und Augenbrauen“ - damit fallen auch Tätigkeitsbereiche für Nachwuchskräfte weg. Eine dritte Kollegin, ursprünglich Kinderpflegerin mit dem Herzenswunsch, Friseurin zu werden, sei nach der Ausbildung zurück in die Kita gegangen: „Dort verdient sie mit viel weniger Arbeitszeit das gleiche Geld.“

Was die Friseurmeisterin allerdings auch sagt: Die Bewerbungen, die sie bekommen hat, ließen zu wünschen übrig. „Nicht eine war super. Generell haben wir immer weniger qualifizierte Bewerbungen.“ Die letzten Anfragen habe sie sich gar nicht mehr angeschaut. Im Gegensatz zu früheren Jahren, wo sie für gute Bewerberinnen und Bewerber immer noch einen Platz gefunden habe.

Durch Anhebung des Mindestlohnes stark gestiegene Kosten

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Sie zahle leicht über Tarif, erklärt die Friseurmeisterin, die einen größeren Betrieb führt, in dem außer ihr zwei weitere Meisterinnen tätig sind. Durch die Anhebung des Mindestlohnes habe sie monatlich 5000 bis 6000 Euro mehr an Lohnkosten. Früher hätten selbst die Meisterinnen nur knapp über dem aktuellen Mindestlohn verdient. Nun müssten alle Lohngruppen angehoben werden, damit das Verhältnis stimmt.

Außerdem könne sie ihre Meisterinnen nicht mehr für die Ausbildungsarbeit freistellen. „Sie waren jede Woche rund drei Stunden nur mit Anleitung beschäftigt, machen in dieser Zeit aber keinen Umsatz.“ Sabine Walden findet es grundsätzlich gut, dass ihre Kolleginnen mehr verdienen, „aber die Kunden müssen das auch mitmachen. Und viel mehr zu zahlen, dazu sind sie nicht bereit.“

„Ich sehe es nicht ein, für andere die Kinder zu erziehen“

Obermeister Ralf Wüstefeld berichtet, er habe früher in seinem Salon um die zehn Bewerbungen pro Jahr bekommen. „Jetzt haben wir eine - wenn’s hoch kommt.“ Er selber bilde schon seit zehn Jahren nicht mehr aus, weil er auch die Qualität der Bewerbungen miserabel findet: „Ich sehe es nicht ein, für andere Menschen die Kinder zu erziehen.“ Das müsse schon früher passieren, vor der Ausbildung. „Viele wollen es auch nicht mehr machen“, so der Eindruck des Innungsmeisters. Weil man wenig verdient.

Ralf Wüstefeld, Obermeister der Friseurinnung in Mülheim, bildet in seinem Betrieb seit etlichen Jahren nicht mehr aus. Er kritisiert die Qualität eingehender Bewerbungen.
Ralf Wüstefeld, Obermeister der Friseurinnung in Mülheim, bildet in seinem Betrieb seit etlichen Jahren nicht mehr aus. Er kritisiert die Qualität eingehender Bewerbungen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Dass Friseurbetriebe komplett auf Ausbildung verzichten, werde demnächst wohl häufiger vorkommen, fürchtet Ralf Wüstefeld. „Wenn wir die Leute besser bezahlen, wenn die Löhne steigen, was ja eigentlich gut ist, dann müssen diese Kosten an die Kunden weitergegeben werden.“ Wer die Rechnung einer Kfz-Werkstatt bekomme, sehe dort Lohn- und Materialkosten separat aufgelistet. Das hätten Friseure über viele, viele Jahre versäumt. „Es ist eine Misere, die gesellschaftlich (,Geiz ist geil’) immer schlimmer wird.“

Mülheimer Friseurmeister fordert Steuererleichterungen

Da die Betriebe vielfältige Kosten zu tragen hätten, die den Kunden oft nicht bewusst seien, fordert der Mülheimer Obermeister auch Steuererleichterungen: Für arbeitsintensive Dienstleistungen sollte der Mehrwertsteuersatz auf sieben Prozent gesenkt werden. Vielen Betrieben sei es zu riskant, sich durch die Einstellung von Azubis noch mehr Personal ans Bein zu binden. Um sein Handwerk macht sich Ralf Wüstefeld spürbar Sorgen: „Bald haben wir nur noch Barbershops.“

Betrieb mit zwei Standorten hat sechs neue Azubis

Keine Zukunftssorgen vernimmt man dagegen bei „Go-Hairstyling“, einem Betrieb mit zwei Standorten in Saarn und Speldorf. Insgesamt zwölf Azubis seien dort tätig, berichtet die Ausbildungsleiterin, „allein zum 1. August haben sechs neu bei uns begonnen“. Bewerbungen gingen immer noch genügend ein. „Wir bilden gerne aus und versorgen uns damit selber.“ Jährlich werde mindestens eine ausgebildete Nachwuchskraft übernommen.

Warum es in ihrem Betrieb augenscheinlich besser läuft als anderswo, erklärt die Ausbildungsleiterin mit verschiedenen Faktoren. Die Ausbildung sei gut durchorganisiert, werde von mehreren Meisterinnen geleistet, was für größere Betriebe sicher auch einfacher sei. „Und wir richten uns immer nach den neuesten Trends. Das ist für junge Leute sehr interessant.“

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