Mülheim. An der Saarner Kuppe steigt ein Testballon für die Mülheimer Verkehrswende: 20 Busse drehen ihre Runden. Manchem ist der ÖPNV schon fast zu viel.
Einfach losgehen zur Haltestelle ohne Blick auf den Fahrplan, weil der Bus ja ohnehin gleich kommt: Wovon in Styrum mancher nur träumt, scheint in Saarn gerade Alpträume auszulösen. Alle siebeneinhalb Minuten fährt künftig ein Bus von der Kuppe in Richtung Innenstadt und zurück. 20 in der Stunde, die über die Luxemburger Allee müssen. Vorher waren es zwölf. Ist das zu viel fürs Quartier?
Bisher fährt über die beschauliche Wohnsiedlung mit Supermarkt und „Raumfahrtzentrum“ nur die Buslinie 133: Alle zehn Minuten in beide Richtungen von früh morgens bis etwa 19 Uhr. Morgens sind vor allem Schüler mit ihr unterwegs, die zur Gesamtschule wollen oder zum Berufskolleg. Oft reicht der Platz dann nicht aus, weshalb auch Schulbusse zum Einsatz kommen, die an den Haltestellen Mats Kamp und Lehnerstraße stoppen. Auf die Kuppe fahren sie aber nicht hoch.
Zwei neue Buslinien fahren über die Saarner Kuppe
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Doch das ändert sich im August: Eine neue Linie 135 wird die 133 ersetzen und im Berufsverkehr von 6 bis 9 Uhr gezielt häufiger fahren. Erst danach geht sie in einen 15-Minuten-Takt über. Zudem wird die Saarner Kuppe mit einer Ringbuslinie an die Direktverbindung von Broich bis nach Heißen angeschlossen. Der 139er fährt dann alle halbe Stunde. Wenn auch Schulbusse weiterhin außen vor der Kuppe bleiben, macht das in der Stoßzeit 20 Busse pro Stunde.
Aus Sicht von Anwohnerin Cornelia Beekes könnte die Beschleunigung der Linie 135 verschiedene Probleme nach sich ziehen. Schon jetzt beobachtet sie, dass es an der Luxemburger Allee zu Rückstau und gefährlichen Szenen kommt, wenn sich zum Pendlerverkehr der 133er im Zehn-Minuten-Takt durch den Straßenbogen um die Kuppe schiebt. Zumal die Strecke an verschiedenen Stellen durch Verkehrsinseln bewusst verengt und entschleunigt wurde.
Mülheimer Anwohnerin sorgt sich um Lärm und Verkehrsstau
Die würden nun zum Nadelöhr. Das Halten und Anfahren der Dieselbusse – „das erzeugt Lärm und Schadstoffe“, argumentiert sie. Ab fünf vor Fünf gehe das schon los. Der Pkw-Pendlerverkehr müsse oft hinter den Bussen warten, vor dem Erlenweg stehe man im Stau. Und mancher riskiere waghalsige Manöver in den Gegenverkehr, um überholen zu können. Passiert sei allerdings noch nichts.
Doch auch weiter oben, am Buswendekreis, werde es eng, wenn sich die ein- und ausfahrenden Busse begegneten. Das potenziere sich erst recht, wenn bald schon rund acht Busse stündlich mehr auf der Straße sein werden. „Ich finde den ÖPNV gut und nutze ihn auch selbst“, sagt Beekes. Um in die Stadt zu kommen oder zur Ruhr. Aber es gehe doch auch um den Nutzwert, argumentiert die Saarnerin, die hier seit 15 Jahren wohnt. Beekes hat Zweifel, ob der Bedarf vorhanden sei.
Kritik trifft Mülheims Politik überraschend: „Mehr Angebot auch nicht richtig?“
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Ausgerechnet mit dieser Kritik haben Verkehrsplanung und Politik nicht gerechnet, denn im Ruf, das Angebot des ÖPNV zu stärken, steht der neue Nahverkehrsplan nun gerade nicht. „Wir haben uns in den zweieinhalb Jahren Diskussion anhören müssen, den Nahverkehr nur abzubauen. Hier stärken wir ihn – und das ist auch nicht richtig?“, reagiert Siegfried Rauhut (CDU) entsprechend überrascht.
Der verkehrspolitische Sprecher zeigt sich von dem Auftakt des neuen Systems aber ebenso überzeugt: „Der Nahverkehrsplan ist durchdacht: Wir haben die Ist-Zahlen mit Modellen kombiniert. Die Idee an der Saarner Kuppe ist, eine Linie zu entwickeln, die einer Straßenbahn würdig wäre.“ Denn diese seit Jahren debattierte Idee einer Bahn nach Saarn steht weiterhin im Raum.
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Und würde mit Blick auf die künftigen Wohngebiete an Lindgens-Areal und Ibing-Brauerei weiter an Bedeutung gewinnen. Der neue 135er Bus soll diese drohenden Verkehrsaufkommen daher abfangen können, indem er seinen schnellen Takt zum Mülheimer Stadtzentrum und den Hafen an die Straßburger Allee und den Kassenberg bringt. Und ebenso ein Grund: Passende Anschlüsse an die Straßenbahn und weitere Linien, die im 15- oder 30-Minuten-Takt fahren.
Grüner Verkehrsexperte: Ob Angebot greife, hänge vom Verhalten der Menschen ab
Man müsse die verkehrliche Entwicklung an der Kuppe beobachten, so der CDU-Experte. Massiver Stau und Lärm an der Kuppe sind bisher zur Politik nicht durchgedrungen. Zumindest beim Lärm und den Abgasen der fossilen Busflotte vor Ort sieht Rauhut in den kommenden zehn Jahren Besserung, wenn die Ruhrbahn Stück für Stück auf Wasserstoff umstelle. Und er hat Hoffnung, dass das 49-Euro-Ticket plus besseres Angebot auch die Nachfrage steigen lasse.
Das sieht der Grüne Verkehrsexperte Axel Hercher ähnlich. Die Saarner Kuppe ist auch eine Art Testballon für die gewünschte Verkehrswende. „Wir haben hier ein besseres Angebot geschaffen, damit die Anwohner das Auto stehen lassen können. Ob das jetzt passiert, hängt aber vom Verhalten der Menschen ab.“