Mülheim. Wer einen geliebten Menschen durch Unfall oder Suizid verliert, braucht Beistand. Wie ihnen das Projekt „Mini“ in Mülheim unter die Arme greift.

Den Kloß im Hals von damals spürt der erfahrene Polizist Thomas Weise noch heute. Allein und ohne jede professionelle Vorbereitung musste er einer Mülheimer Familie den tragischen Taucherunfall ihres Sohnes erklären. „Vor der Tür habe ich gedacht: Bitte lass keinen zu Hause sein.“ Heute begleitet in solchen Fällen die Notfallseelsorge die Polizei. Wer aber angesichts großen Leids mehr Hilfe braucht, bekommt sie in Mülheim durch das Projekt „Mini“.

Zum Glück, denn die „Mittelfristige Notfallnachsorge“, kurz Mini, schließt seit einem Jahr eine wichtige Lücke zwischen der unmittelbaren Betreuung beim ersten Schock und einer langfristigen therapeutischen Begleitung, die oft erst nach langer Wartezeit auf einen Platz möglich ist. Dass der Bedarf in der Ruhrstadt groß ist, machen schon die Fallzahlen deutlich: 50 haben sie bis heute behandelt, dahinter stehen aber 90 Menschenschicksale.

Wie Mülheimer Ehrenamtliche trauernde Verbliebene zurück in den Alltag bringen

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Drei Ehrenamtliche nehmen sich solcher schweren Fälle an: der Notfallpädagoge Harald Karutz sowie die Notfallnachsorgerinnen Iris Stratmann und Ute Borghorst. „Großen Respekt“ hat Polizist Weise vor der Arbeit der Mini-Helfer und auch Pfarrer Guido Möller, selbst Notfallseelsorger, hätte sich diese Einrichtung schon viel eher gewünscht, „weil wir nur in den ersten Tagen für die Betroffenen da sein können“.

Über konkrete Fälle kann das Mini-Team aus Schweigepflicht natürlich nicht sprechen, doch es sind schwere Momente für eine Familie: Ein Vater, der sich das Leben genommen hat, ein junger Mensch, der an Drogen gestorben ist, ein tödlicher Unfall. Dann helfen sie, den Weg zurück in den Alltag zu finden.

„Mini ist das Größte, was es gibt“, sagt Thomas Weise (m.), Stiftungsvorsitzender der Polizeistiftung „David & Goliath“: Das unterstützt nun die Notfallseelsorge und das Projekt „Mini“ mit 20.000 Euro. Guido Möller (v.l.), Iris Stratmann, Ute Borghorst, und Harald Karutz haben davon ein hilfreiches Set zusammengestellt mit Dingen, die Kinder bei der Bearbeitung von Trauer und Verlust von Angehörigen unterstützen.
„Mini ist das Größte, was es gibt“, sagt Thomas Weise (m.), Stiftungsvorsitzender der Polizeistiftung „David & Goliath“: Das unterstützt nun die Notfallseelsorge und das Projekt „Mini“ mit 20.000 Euro. Guido Möller (v.l.), Iris Stratmann, Ute Borghorst, und Harald Karutz haben davon ein hilfreiches Set zusammengestellt mit Dingen, die Kinder bei der Bearbeitung von Trauer und Verlust von Angehörigen unterstützen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Mülheimer Seelsorgerin über Schock von Angehörigen: „Als wären alle Stecker gezogen“

Dabei reagieren viele gerade im ersten Moment der furchtbaren Nachricht so, „als wären alle Stecker gezogen“, weiß Mini-Seelsorgerin Ute Borghorst. Deshalb sei es gut, wenn die seelische Betreuung weitergehe, längerfristig da sei. Das bestätigt auch Harald Karutz, der als Diplom-Pädagoge während der Corona-Krise im Mülheimer Krisenstab besonders Kinder und Jugendliche im Blick hatte.

Mini nimmt dann Kontakt auf, wenn der erste Schock vorbei ist, wenn es etwa darum geht, wie der Verstorbene verabschiedet werden soll, warum betroffene Kinder plötzlich verschlossen sind, was sie in der Schule sagen sollen, wenn Papa sich umgebracht hat. „Solche Fragen entstehen eben erst nach Tagen, sie lassen sich in der akuten Situation – wenn die Nachricht überbracht wird – nicht lösen“, sagt der Pädagoge Karutz.

Schneekugel, Delfin und Rettungsring sind Symbole, die Halt geben sollen, wenn die Gefühle auf hoher See sind.
Schneekugel, Delfin und Rettungsring sind Symbole, die Halt geben sollen, wenn die Gefühle auf hoher See sind. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Und genauso oft müssen die Mini-Helfer auch dem hinterbliebenen Partner in der Trauer beistehen, denn wenn Eltern nicht stabil sind, können sie ihren Kindern keinen Halt geben. „Reiß dich zusammen“, heißt es dann oft zum Kind, das unkonzentriert oder gereizt ist – das seien aber mögliche Anzeichen für eine Belastungsstörung, warnt der Pädagoge Karutz.

Wie eine Schneekugel, ein Plüschdelfin und ein Rettungsring gegen Grübeln helfen

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Bei dem Prozess, seine Gefühlslage zu verstehen, sind kleine Dinge hilfreich. Iris Stratmann zeigt eine Schneekugel, einen Plüschdelfin, einen Rettungsring für die Hosentasche, ein Büchlein. Und alles hängt zusammen: Die Schneekugel zeigt einen Ruderer auf bewegter See, doch ihm steht ein Delphin zur Seite, ein Rettungsring fliegt ihm zu. Die Symbole sind schnell zu begreifen und sollen Halt geben, wenn der Kopf im Gedankensturm schwirrt, das Grübeln anfängt.

Die Objekte sollen dabei helfen, Abstand zu bekommen, erläutern die Mini-Ehrenamtlichen. Und im Notfall: Die Rückseite der Schneekugel zeigt einen sicheren Hafen.

Für den Polizisten Thomas Weise sind „die Notfallseelsorge und Mini das Größte, was es gibt“. Deshalb unterstützt er als Stiftungsvorsitzender der Polizeistiftung „David und Goliath“ nun auch das Mini-Projekt. „Unsere Stiftung ist 20 Jahre alt geworden. Wir haben deshalb 20.000 Euro zur Verfügung gestellt, um das nachhaltige Projekt auf den Weg zu bringen.“

Not in Mülheim – wo es Hilfe gibt