Mülheim. Er sieht seine Zukunft in Deutschland, nachdem er aus Syrien floh. Wie der Student Oday Hassan (26) in Mülheim angekommen ist – und wo es hakt.
Er ist angekommen in Mülheim, wuppt sein IT-Studium, lebt in seiner ersten eigenen Wohnung. Und doch stößt Oday Hassan, der vor knapp sieben Jahren als junger Mann vor dem Krieg aus Syrien geflohen war, im Alltag immer wieder an Hürden. Diese begegnen ihm auch, wenn er anderen Geflüchteten zur Seite steht, sie etwa beim Gang zur Ausländerbehörde oder auf der Wohnungssuche begleitet. Mit welchen Vorurteilen sich der 26-Jährige konfrontiert sieht.
Er war einer der Ersten, die wir Weihnachten 2021 in unserer damaligen Jolanthe-Aktion zugunsten des Mülheimer Arbeitslosenzentrums (Malz) vorgestellt haben: Oday Hassan, der 2016 mit seinem Vater und seiner Schwester aus Syrien geflohen war. Über die klassische Route führte auch die Flucht von Oday Hassan und seiner Familie – mit einem Schlauchboot übers Mittelmeer, untergekommen in einem Flüchtlingscamp in Griechenland und weiter über die Balkanroute bis nach Deutschland. Verschiedene Notunterkünfte hat der junge Mann auf seinem Weg kennengelernt – in Passau, Lüdenscheid und Herne.
Familie aus Syrien kommt im Flüchtlingsdorf an der Mintarder Straße in Mülheim unter
In Mülheim kommt die Familie zunächst im Saarner Flüchtlingsdorf an der Mintarder Straße unter, versucht, sich zu orientieren nach den fürchterlichen Erlebnissen in ihrer durch den Krieg zerstörten Heimat. Dabei ist Oday Hassan niemand, der den Kopf in den Sand steckt. Der junge Mann möchte nach vorne schauen, seinen Weg gehen – selbst wenn er sich dafür in ein neues Land einfinden, Kultur und Sprache kennenlernen muss.
Heute, knapp sieben Jahre nach seiner Flucht, spricht Oday Hassan nahezu fehler- und akzentfrei Deutsch, drückt sich ausgesprochen gewählt aus, feilt im Kopf an Formulierungen und an Grammatik. Dass die Sprache der Schlüssel sein wird, um die Türen zu einer neuen Heimat aufzustoßen, war dem jungen Mann früh klar. Bereits in den Flüchtlingsunterkünften schnappt er jeden Brocken Deutsch auf, den er mitbekommt, klaubt sich Informationen zusammen und stillt seinen Wissenshunger.
Junger Syrer lernt schnell Deutsch und betreut neben dem Studium andere Geflüchtete
Doch der heute 26-Jährige denkt dabei nicht nur an sich, wendet seine Kenntnisse nicht eigennützig an – im Gegenteil: Von Anfang an hilft er nicht nur seinem Vater und seiner Schwester, Deutschland zu verstehen, sondern auch anderen Geflüchteten – zunächst in den Unterkünften, in denen auch er mit seiner Familie lebt, später im Job in einer Flüchtlingsunterkunft im Duisburger Norden, wo er Geflüchtete als Sozialbetreuer unterstützt. Das ist es, woran sein Herz hängt: Menschen zur Seite zu stehen, die Orientierung suchen, die etwa Anträge stellen müssen, um Geld vom Amt zu erhalten, die endlich aus dem „Camp“, wie Oday Hassan sagt, herauskommen und eine Wohnung suchen können.
Doch da fangen die Schwierigkeiten oft erst richtig an. „Wenn ich mich bei Vermietern melde, um einer Familie dabei zu helfen, eine Wohnung zu finden, werde ich oft für einen Makler gehalten“, berichtet der 26-Jährige. Mehr als einmal habe er sich die Frage gefallen lassen müssen: „Und was bekommst du dafür?“ Als ob er abkassieren würde – Abzocke und Schwarzarbeit werde ihm nicht nur unterschwellig unterstellt. „Nur weil ich aufgrund meiner Herkunft und meines Aussehens ins Schema passe“, ärgert sich der gebürtige Syrer.
Solche Vorurteile schmerzen ihn: „Man tut doch nicht alles für Geld!“ Wenn er gefragt wird, was er für die Unterstützung der Geflüchteten bekomme, sagt er am liebsten: „Ein gutes Gefühl.“ Anderen zu helfen, sei sein Hobby, denn: „Ich kann mich gut in die Leute hineinversetzen und bin so dankbar, dass ich nicht in ihrer Lage bin“, sagt der Student, der inzwischen in seiner ersten eigenen, 35 Quadratmeter großen Bude wohnt. „Zu allen Geflüchteten, die ich betreut habe, habe ich noch Kontakt.“
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Anderen zur Seite zu stehen, auf Terminen für sie zu übersetzen, dafür nimmt er sich „natürlich sehr gerne“ Zeit in seinem eng getakteten Alltag – neben seinem Studium der Angewandten Informatik an der Ruhr-Uni Bochum arbeitet Oday Hassan als Werkstudent bei „Aldi International Services“ in der IT. „Genau der Bereich, den ich auch studiere“, strahlt der 26-Jährige. Es sei für ihn eine große Motivation, das Gelernte endlich anwenden zu können. Die guten Rückmeldungen, die es am Arbeitsplatz gibt, seien „die Kirsche auf der Sahne“.
Um über die Runden zu kommen, hat der Student noch einen Nebenjob, betreut die IT einer Baufirma, und hat ein Gewerbe angemeldet. Trotzdem bleibt noch genügend Zeit, um sich ehrenamtlich zu engagieren: Oday Hassan ist Schriftführer im gemeinnützigen Trägerverein des Mülheimer Arbeitslosenzentrums (Malz), das ihm und seinem Vater geholfen hat, sich im deutschen Behördendschungel zurechtzufinden. Für den jungen Mann ist es Ehrensache, sich vor Ort einzubringen, denn Mülheim, das „ist längst meine Stadt“.
Das Beratungsangebot des Mülheimer Arbeitslosenzentrums wird derzeit durch die Brost-Stiftung finanziert, nachdem die Landesregierung zuvor Zuschüsse aus dem Europäischen Sozialfonds gekappt und die Stadt sich aus der Finanzierung des Malz zurückgezogen hatte. Die Förderung der Brost-Stiftung für die Beratungsstelle läuft in Kürze aus, aktuell finden laut Malz-Beraterin Gabi Spitmann Gespräche über die künftige Finanzierung statt. Kontakt zum Mülheimer Arbeitslosenzentrum, Friedrichstraße 24, 0208/325 21.