Mülheim. Grün, Gemeinschaft und 275 Wohnungen im Mülheimer Süden: Der Entwurf für das neue Fliedner-Quartier hat viele Stärken und einige Schwachstellen.
Im Mosaiksaal des Historischen Rathauses läuft seit Montag eine Ausstellung mit großformatigen Exponaten und erheblicher Tragweite: Dokumentiert wird der städtebauliche Wettbewerb zum neuen Quartier, das neben dem Fliedner-Dorf in Selbeck entstehen soll. Der Wettbewerb lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die sich nun den Siegerentwurf anschauen darf, neben sieben unterlegenen Beiträgen.
Eine der ersten Ausstellungsbesucherinnen war am Montagmorgen die Mutter eines schwer behinderten jungen Mannes, 19 Jahre alt, für den die Familie mittelfristig ein eigenes Zuhause sucht. Die Mülheimerin möchte wissen, wie der neue Campus genau gestaltet wird? Welches Lebensumfeld er bietet, wann und zu welchem Preis die Wohnungen zur Verfügung stehen? Fragen, die viele Menschen bewegen, seit das Großprojekt bekannt geworden ist. Konkrete Antworten wird es vorerst nicht geben, das wurde bei der offiziellen Ausstellungseröffnung am Montagnachmittag klar. Bau- und Planungsdezernent Felix Blasch nannte den Siegerentwurf eine „sehr schöne Lösung, auf die wir aufbauen können“. Die Arbeit hat gerade erst begonnen.
Siegerentwurf: „Mühlenhöfe Selbeck“ im Süden von Mülheim
Auch interessant
Das 4,7 Hektar große Grundstück liegt im Nordwesten des Fliedner-Dorfes und verbindet dieses mit der Kölner Straße. Acht Büros hatten Entwürfe eingereicht, vier Vorschläge hat ein Preisgericht am 12. Januar ausgezeichnet. Durchgesetzt hat sich der Vorschlag von „bläser jansen partner“ aus Dortmund. Danach werden auf der geräumigen Grünfläche bald die „Mühlenhöfe Selbeck“ wachsen, ein „naturnah“ gestalteter Wohncampus mit verschiedenen zentralen Treffpunkten.
Um zehn verkehrsfreie Höfe herum soll gebaut werden: 275 Wohneinheiten könnten entstehen, für 500, vielleicht 600 Menschen. Der Entwurf sieht einen Mix aus Ein- und Mehrfamilienhäusern vor. Sie sollen Laubengänge erhalten, lange Balkone, „um die Kommunikation zu steigern“, erläuterte Daniel Bläser, Geschäftsführer des erfolgreichen Büros. Er sprach von einem „schönen, kompakten Dorf, das sich in bestehende Strukturen einfügt“.
Fliedner: Ein Drittel des Wohnraums öffentlich gefördert
Auch interessant
Der Zuschnitt der Wohnungen soll von Single-Appartements über Familienwohnungen bis hin zu WG-geeigneten Wohnungen reichen, beginnend bei etwa 35 bis zu 120 Quadratmetern. „Ein besonderer Fokus liegt auf barrierefreien und altersgerechten Wohnungen“, heißt es im Entwurf. Auch Gemeinschaftsräume soll es geben. Etwa ein Drittel des Wohnraums werde öffentlich gefördert sein, ergänzte Christoph-Georg Ohligschläger, leitender Architekt der Theodor Fliedner Stiftung.
Durch die gesamten „Mühlenhöfe“ zieht sich eine grüne Mitte: eine autofreie Achse mit Fuß- und Radwegen, auf der auch Spiel-, Sport- und Erholungsflächen liegen - alles ohne Stufen, barrierefrei. Sie soll zugleich als Frischluftschneise für das Campus-Dorf dienen. Dieses soll frei von Durchgangsverkehr bleiben.
Autofreie grüne Achse im neuen Mülheimer Quartier geplant
Am Eingang ist eine Quartiersgarage mit 120 Stellplätzen für Pkw und 70 Abstellplätzen für Fahrräder geplant, wo es auch E-Ladestationen gibt. Weitere 90 Autoparkplätze sind an den Straßen Am Mühlenhof und Fliednerstraße vorgesehen - wohnungsnah, besonders für weniger mobile Menschen. Der Eingangsbereich von westlicher Seite, im Übergang zum bestehenden Fliedner-Dorf, soll als grüner Quartiersplatz gestaltet werden.
[+++ Haus, Wohnung, Grundstück - Alles zum Wohnen und Bauen in Mülheim +++]
Um das neue Viertel für alle Generationen attraktiv zu machen, soll es nach Vorstellung der Planer einen Kindergarten umfassen. Dies dürfte junge Familie interessieren, denn die Zukunft der einzigen, katholischen Kita in Selbeck ist aktuell nur noch bis Mitte 2025 gesichert. Die Kita sei allerdings keine Vorgabe von Seiten der Fliedner Stiftung gewesen, heißt es dort, ist also noch mit einem Fragezeichen versehen. Auf der anderen Seite soll es betreute Wohnformen und therapeutische Einrichtungen geben. Wobei das entstehende Dorf ausdrücklich nicht den Charakter einer Pflegeeinrichtung erhalten soll.
Preisgericht kritisiert Lage des Parkhauses
Auch interessant
Was die Fliedner-Stiftung mit dem ambitionierten Vorhaben bezweckt, machte ihre kaufmännische Chefin Sabine Halfen bei der Ausstellungseröffnung deutlich. Sie sagte: Das Fliedner-Dorf sei immer noch ein abgeschlossenes Gebilde, brauche mehr Normalität und Mischung, denn es sei „manchmal etwas an den Rand gedrängt“. Eine Verbindung zur Außenwelt soll geschaffen und zugleich der Bedarf nach Wohnraum befriedigt werden, für diverse Zielgruppen: „Für unsere Klientinnen und Klienten, aber auch für Familien.“
Der Siegerentwurf hat das Preisgericht mit vielen Elementen überzeugt, andere werden sicher noch verändert. Positiv hebt die Jury etwa die Grundidee hervor, die Wohnhöfe in Ost-West-Richtung entlang einer grünen Achse anzuordnen, die sich am Verlauf der vorhandenen Frischluftschneise orientiert. Zugleich heißt es kritisch: „Das Parkhaus am Ende der Achse konterkariert die gewünschte Durchlüftung.“ Auch an anderen Stellen wird Nachbesserungsbedarf angedeutet, so mit Blick auf die angedachte Höhe der Gebäude, die Entwässerung im südlichen Bereich oder die Anbindung an den südlich gelegenen Bach.
Zeitrahmen für das Bauprojekt noch nicht absehbar
„Noch sehr, sehr viele Dinge sind im Detail und teilweise über Gutachten zu klären“, sagt auch Fliedner-Architekt Christoph-Georg Ohligschläger, so müsse beispielsweise die ÖPNV-Anbindung des neuen Quartiers überarbeitet, verbessert werden. Ebenso die Anbindung des neuen Viertels an die viel befahrene Kölner Straße. Sicher sei ein Verkehrsgutachten notwendig.
Wettbewerb und Platzierungen
Die Aufgabenstellung des städtebaulichen Wettbewerbs der Fliedner-Stiftung war ein reines Wohngebiet mit Gemeinschaftsflächen für Menschen aller Generationen, mit und ohne Einschränkungen. Maximal 280 Wohneinheiten sollten dabei geplant werden, im Schnitt rund 75 Quadratmeter groß. Die Konzepte wurden anonymisiert eingereicht.
Etwa 30 Personen in der Jury
Das Preisgericht unter Vorsitz der Stadtplanerin Prof. Dr. Hildegard Schröteler-von Brandt umfasste rund 30 Personen, darunter Vertreter der Mülheimer Stadtspitze, Politik und Fachverwaltung sowie externe Fachleute, beispielsweise Landschaftsarchitekten. Für den Siegerentwurf von „bläser jansen partner“ gibt es 21.500 Euro.
Den 2. Preis (13.500 Euro) bekommt der Entwurf „Klimaquartier Grünblick“ vom Büro studiomauer (Hannover) mit Partnern. Drei unterschiedliche Gebäudeformen sind vorgesehen, durchweg mit Photovoltaikanlagen und Dachbegrünung sowie öffentlich gefördertem Wohnraum. Eine autofreie Meile mit gemeinschaftlichen Angeboten zieht sich durch das Viertel.
Den 3. Preis (9000 Euro) erhält die „Allmende für alle“ des Büros Sarah Gräfer Architektur (Köln) mit Partnern: Das Konzept greift die umgebenden Acker- und Freiflächen auf, indem es die Gebäude um einen Dorfanger gruppiert, der als Spielwiese, Pferde- und Nutztierweide oder für Schrebergärten genutzt werden kann
Der 4. Preis (6000 Euro) geht an das Konzept „Fliedner Nachbarschaften“ des Büros Trojan +Trojan (Darmstadt), in dessen Mittelpunkt vier eigenständige Nachbarschaften stehen. Als verbindende Elemente sollte es eine zentrale Festwiese, einen „Fliedner Markt“ mit Versorgungseinrichtungen und Außengastronomie sowie ein Quartiershaus geben.
Auf eine zeitliche Perspektive möchte sich bei Fliedner niemand festlegen. Allein das reguläre Bebauungsplanverfahren, zu dem immer auch eine Bürgerbeteiligung gehört, dürfte sich über Jahre hinziehen.
Die Ausstellung „Städtebaulicher Wettbewerb - Campus Selbeck“ ist zwei Wochen lang, bis einschließlich 17. Februar, im Mosaiksaal des Historischen Rathauses zu sehen: montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr. Der Raum ist barrierefrei zugänglich.