Mülheim. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, auch in Mülheim. Wer sich ungeschickt anstellt, zahlt sogar doppelt. Wie sich das vermeiden lässt.
In Mülheim sind im vergangenen Jahr 1786 Menschen aus der Kirche ausgetreten. Das sind deutlich mehr als noch 2021 (1117 Austritte) und 2020 (711). Der Trend scheint sich fortzusetzen, wie Richterin Antje Hahn im Gespräch mit dieser Redaktion bestätigt: Demnach haben im noch jungen Jahr 2023 bereits 74 Personen aus Mülheim (Stand: 18. Januar) den offiziellen Weg aus der Kirchenzugehörigkeit hinaus getan. Dieses Interesse haben offenbar mehrere Anbieter für sich als Geschäftsidee erkannt – allerdings nicht ganz ohne Haken.
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Googelt man „Kirchaustritt Mülheim an der Ruhr“, tauchen neben dem Amtsgericht als zuständiger Behörde auch Anbieter wie kirchenaustritt.de oder kirchenaustritt-online-beantragen.de auf. Sie wollen die Wartezeiten für Austrittwillige verkürzen, das Versprechen lautet: „Sparen Sie sich den Großteil der Kommunikation mit der zuständigen Behörde.“ Dafür nehmen die Portale 30 oder 29,90 Euro.
Mülheimer Amtsgericht warnt vor Dienstleistern
Der Haken: Beim Austritt muss dem Amtsgericht trotzdem eine Gebühr in Höhe von 30 Euro gezahlt werden, ganz unabhängig davon, ob man bereits an die Dienstleister gezahlt hat. „Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass Kauf und Nutzung des dort angebotenen Vordrucks und Services nicht von der Zahlung der gerichtlichen Gebühr und der Erklärung vor dem zuständigen Amtsgericht entbindet“, erklärt Antje Hahn. Das Kirchenaustrittsgesetz NRW gibt ein einheitliches System für Kirchenaustritte vor.
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Im Schnitt warten Mülheimerinnen und Mülheimer 1,75 Monate auf einen Termin zum Kirchenaustritt. Das geht aus einem Bericht des Rechtsausschusses im Landtag hervor. In der Nachbarstadt Duisburg müssen Bürgerinnen und Bürger demzufolge bis zu drei Monate warten, in Oberhausen einen und in Essen bis zu drei Monate. Keine Wartezeit gibt es laut dem Bericht übrigens unter anderem in Werl, Herne, Hagen, Schwelm, Wetter und Lüdenscheid.
Mülheimer Bürgerinnen und Bürger müssen Termin online buchen
Richterin Antje Hahn erklärt, dass das Mülheimer Amtsgericht für die Kirchenaustritte ein Terminkontingent von bis zu 120 Terminen im Monat vorsieht. Manche Menschen wählten auch den Austritt über einen Notar, der im Übrigen ebenfalls eigene Gebühren aufrufe. „Auch hier muss die gerichtliche Gebühr von 30 Euro trotzdem gezahlt werden“, so die Juristin.
Allen, die sich für einen Kirchenaustritt interessieren, rät sie einen Blick auf die Homepage des Mülheimer Amtsgerichts (ag-muelheim.nrw.de). Unter dem Reiter „Aufgaben“ findet sich der Unterbereich „Abteilungen“: „Hier sind alle Informationen zum Kirchenaustritt gelistet“, erklärt Antje Hahn. So erklärt das Amtsgericht online: „Eine Austrittserklärung in einfacher Schriftform ist nicht möglich. Sie kann nur höchstpersönlich abgegeben werden, eine Bevollmächtigung ist nicht zulässig.“ Neben den erforderlichen Unterlagen und den Kosten findet sich auch ein Hinweis zu den genannten Portalen – verbunden mit dem Hinweis der doppelten Kosten.
Betrug? „So würde ich das nicht formulieren“
Ist das schon Betrug? „So würde ich das nicht formulieren“, sagt die Richterin. „Schließlich zahlen die Leute dafür, weniger Aufwand zu haben.“ Aber eben doppelt.
Für einen Kirchenaustritt beim Amtsgericht Mülheim muss online ein Termin gebucht werden. Möglich ist das auf der Startseite des Amtsgerichts unter „Terminbuchung“. „Sollte Ihnen kein freier Termin angezeigt werden, wird darauf hingewiesen, dass immer zum Monatsanfang die Kapazitäten für einen weiteren Monat freigeschaltet werden“, lautet ein Tipp. Unter der Telefonnummer 0208 4509 327 ist die zuständige Abteilung zu erreichen – allerdings nicht zur Terminbuchung: „Es wird gebeten, von telefonischen Anfragen diesbezüglich abzusehen.“