Mülheim. Künstlerin Madlen Michler hat im Lockdown alles umgeworfen und wurde Kunstlehrerin an einer Mülheimer Gesamtschule. Eine gute Entscheidung?
Es gibt gute Gründe, die Madlen Michler den Quereinstieg als Lehrerin hätten erschweren können. Zum Beispiel hätte der Kontrast zwischen der freien Kunstszene und dem Schulwesen zu groß sein können. Oder sie hätte daran erinnert werden können, dass sie selbst nie wirklich gern zur Schule gegangen ist. Aber das sei beides kein Problem gewesen. „Das einzige, was mir wirklich zu schaffen macht, ist das frühe Aufstehen“, sagt sie und nickt so voller Gewissheit, dass man gar nicht anders kann als mitzunicken.
Madlen Michler ist eine von drei Quereinsteigern an der Gesamtschule Saarn. Drei von gut einhundert Lehrern, die nicht den klassischen Weg über das Lehramtsstudium und das Referendariat gegangen sind, sondern mit berufsbegleitenden Seminaren ins kalte Wasser gesprungen sind. Drei Menschen aus der Praxis, die jetzt ihr Wissen an Schüler weitergeben. Darunter sind ein Ingenieur, der nun Mathe und Technik unterrichtet, ein Biologe, der die Fächer Biologie und Chemie vertritt, und Madlen Michler, die nach dem Kunststudium in Essen zunächst als selbstständige Videokünstlerin gearbeitet hat und jetzt die Klassen fünf, sieben, neun und zehn in Kunst unterrichtet.
Die erste Unterrichtsstunde in Mülheim lief anders als gedacht
Aber warum zog es sie in den Schuldienst? „Ich musste mich jedes Jahr neu anbieten. Das wollte ich nicht mehr“, sagt sie. Also bewarb sie sich bei der Bezirksregierung und hörte – nichts. Bis zu Beginn der Corona-Pandemie plötzlich doch das Telefon klingelte und ihr eine Hospitation in der Gesamtschule Saarn angeboten wurde. „Eine Woche nach dem Telefonat ging es schon los“, erinnert sich Schulleiterin Claudia Büllesbach. Der Zeitpunkt – es war April 2020 – war ein Glücksfall für die Künstlerin. „Meine Selbstständigkeit ist im Lockdown von hundert auf null Prozent runtergefahren. Das muss man erst einmal wegstecken.“
Ihre erste Unterrichtsstunde verlief dann auch vollkommen anders als erwartet. Statt im Kunstraum mit Materiallager saß jeder bei sich Zuhause und musste mit Materialien improvisieren. „Ich weiß noch, dass wir uns mit Picasso beschäftigt haben und ich Tipps gegeben habe, wo man noch an Farben und Pinsel kommt. Zum Teil haben sich die Schüler gegenseitig ausgeholfen.“
Ihre Schüler schufen die aktuellen Werke für KunstRaus in Mülheim-Saarn
Wenn man der 40-Jährigen zuhört, ist kein Zögern zu hören. Es klingt, als hätte sie sich wirklich kopfüber und ohne Angst in diesen neuen Lebensabschnitt gestürzt. Dabei war ihre eigene Schulzeit alles andere als einfach. In der Nähe von Dresden aufgewachsen, schickten ihre Eltern sie irgendwann auf ein Internat bei Zwickau. „Ich war keine schlechte Schülerin, aber das Anpassen fiel mir schwer. Ich bin keine, die stundenlang auf ihrem Platz sitzen kann“, erinnert sie sich. Warum sie dennoch den Wunsch hatte, in genau dieses System zurückzukehren? Vielleicht liegt es daran, dass sie tolle Erfahrungen mit engagierten Lehrern gemacht hat. „Wäre meine Mathelehrerin nicht so geduldig gewesen, hätte ich kein Abitur“, sagt sie schmunzelnd.
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Mit den Schülern auf Augenhöhe sein und sich gegenseitig Respekt zollen – das ist ihr heute besonders wichtig. Dass ihr das gelingt, konnte man jetzt in der Dorfkirche Saarn sehen. Gemeinsam mit einer Schülergruppe hatte sie die Kunst für die diesjährige Straßenausstellung „KunstRaus“ geschaffen. Zum Teil haben die Schüler in ihrer Freizeit an den Werken gearbeitet. Zur Vernissage erschienen alle jungen Künstler, obwohl die Teilnahme freiwillig war. Aktuell übt sie mit ihren Schülern Graffitikunst und Filmschnitt – beides Themen, die nah an der Lebenswelt der jungen Menschen sind. Was wäre ihr Wunsch, wenn sie den Lehrplan nach eigenem Gusto gestalten könnte? „Ich würde mehr zeitgenössische Künstler aufnehmen, die noch leben und zu denen man eher einen Bezug aufbauen kann.“
Mülheimer Schulleiterin rechnet mit weiteren Quereinsteigern
Eineinhalb Jahre war Madlen Michler Vertretungslehrerin, bis sie eine reguläre Stelle an der Gesamtschule Saarn bekam. Aktuell absolviert sie parallel zum Unterricht eine pädagogische Einführung. Danach kann sie ein berufsbegleitendes Referendariat anschließen und könnte anschließend sogar verbeamtet werden – wenn sie dann nicht zu alt wäre, denn aktuell liegt die Altersgrenze für den Eintritt ins Beamtenleben bei 42 Jahren.
„Wir werden in Zukunft noch mehr Quereinsteiger brauchen und es wäre wirklich eine Überlegung wert, die Altersgrenze anzuheben“, sagt Schulleiterin Claudia Büllesbach. Ihre Erfahrung mit Quereinsteigern sei bislang durchweg positiv. „Man merkt, dass sie aus der Praxis kommen. Frau Michler kann Ausstellungen organisieren und hat Erfahrungen im Projektmanagement. Das ist Gold wert“, sagt sie.