Mülheim. Die gebürtige Senegalesin Gilberte Driesen macht im Interview eindrucksvoll deutlich, warum Mülheim eine Stelle gegen Diskriminierung braucht.
Aus dem jüngsten Jahresbericht der Antidiskriminierungsberatungsstelle der Bundesregierung geht hervor, dass sich im vergangenen Jahr 37 Prozent der insgesamt 5600 Ratsuchenden aufgrund rassistischer Diskriminierung unter der kostenfreien Rufnummer 0800-5465465 gemeldet haben.
Im Gespräch mit dieser Redaktion beschreibt die aus dem Senegal stammende Pädagogin Gilberte Driesen ihre Sicht auf den Alltagsrassismus in unserer Stadt, auf unterschiedliche Diskriminierungsformen und was man aus ihrer Perspektive dagegen tun kann. Derzeit leben in Mülheim Menschen aus 150 Nationen.
Überrascht Sie der hohe Rassismus-Anteil der Ratsuchenden, die sich an die Diskriminierungsstelle des Bundes gewandt haben?
Nein. Ich gehe beim Thema Alltagsrassismus von einer hohen Dunkelziffer aus, weil sich viele Betroffene nicht an öffentliche Beratungsstellen, sondern zuerst an Freundinnen und Freunde, Familien oder Migranten-Organisationen wenden, um Unterstützung zu bekommen.
Mülheim soll Ende des Jahres Antidiskriminierungsstelle bekommen
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Macht eine Antidiskriminierungsstelle auch auf lokaler Ebene Sinn?
Auf jeden Fall. Und ich freue mich, dass wir wahrscheinlich bis Ende des Jahres eine solche Antidiskriminierungsstelle bekommen. Die Stellenausschreibung läuft. Damit erfüllen CDU und Grüne eine Vereinbarung ihres Koalitionsvertrages. Wichtig ist, dass diese Stelle, die sowohl Beratung als auch Bewusstsein schaffende Öffentlichkeitsarbeit leisten soll, nicht im Rathaus angesiedelt wird, sondern in unabhängigen Strukturen, vielleicht beim Centrum für bürgerschaftliches Engagement oder bei den Sozialverbänden. Die Ratsuchenden sind von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen, wie Homophobie, Antisemitismus, Altersdiskriminierung, Sexismus, etc.
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Mülheimerin erlebte Rassismus in der Bahn, als Studentin, in der Schule
Warum ist eine unabhängige Beratungsstelle auf neutralem Boden wichtig?
Weil viele betroffene Menschen, die zum Beispiel in Kindertagesstätten, Schulen, bei der Polizei, in Gerichten oder in der Stadtverwaltung rassistisch diskriminiert worden sind, mit ihrer Beschwerde dort kein Gehör finden. Weil sie auf eine kollegiale Abwehrhaltung treffen, die sagt: „Wir sind nicht rassistisch. Bei uns gibt es das nicht.“ Deshalb kann hier nur eine neutrale, zivilgesellschaftliche Beratung den Betroffenen zu ihrem Recht verhelfen, das im Diskriminierungsverbot des Grundgesetz-Artikels 3 verankert ist.
Wo und wie erleben Sie selber Rassismus?
Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Ich sitze mit zwei weißen Fahrgästen im Bordrestaurant der Deutschen Bahn. Die Servicekraft kommt und fragt die weißen Fahrgäste, was sie essen und trinken wollen. Mich fragt sie aber nicht. Ich frage sie: „Darf ich hier nichts essen und trinken?“ Die Servicekraft antwortet: „Ich habe Sie nicht gesehen!“ Ich erwidere: „Das kann doch gar nicht sein!“ Ich lasse den Leiter des Bordrestaurants kommen und spreche ihn auf das rassistische Verhalten der Servicekraft an. Er bietet mir einen Gutschein als Entschuldigung an. Ich aber sage ihm: „Ich brauche nicht Ihren Gutschein, sondern Ihre Sensibilität!“ Da war es auch schön zu erfahren, dass die weißen Gäste meine Aussage bekräftigt haben.
„Du bist eine Schmarotzerin. Geh nach Hause!“
Beispiel 2: Als Studentin stand ich vor einer deutschsprachigen Universität, als mir eine alte Dame zurief: „Du bist eine Schmarotzerin. Geh nach Hause!“ Ich habe ihr dann höflich geantwortet: „Ich bin keine Schmarotzerin. Ich studiere hier als Stipendiatin. Habe ich als Mensch nicht das Recht, mich frei zu bewegen und dort zu lernen und zu arbeiten, wo ich es will?“ Sind die Europäer nicht auch ungefragt nach Afrika gekommen, um uns als Kolonialisten auszubeuten und zu unterdrücken? Dann bin ich nach Hause gegangen und habe geweint.
Oder ich besuche als Mutter zweier Kinder den Tag der offenen Tür eines Mülheimer Gymnasiums und bekomme als Einzige in der Gruppe keine Informationsbroschüre, weil man nicht davon ausging, dass Kinder einer schwarzen Frau das Gymnasium besuchen können.
Driesen: Bei Rassismus spielen Machtverhältnisse eine große Rolle
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Was kann und soll man gegen Rassismus tun?
Nur gemeinsam können wir gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen kämpfen, weil die Machtverhältnisse eine große Rolle spielen. Bildung, menschliche Bindung, Einfühlungsvermögen, Gemeinsinn, Begegnung und Dialog sind die besten Mittel gegen Rassismus. Wir brauchen mehr Wissen über Frieden, Menschenrechte, Kolonialismus und globale Zusammenhänge. Das gilt nicht nur für Schulen, sondern für alle gesellschaftlichen Ebenen und Institutionen. Wer Rassismus erleidet oder auch nur miterlebt, darf nicht darüber schweigend hinweggehen. Man muss das ansprechen und sich Verbündete suchen, die Unterstützung geben. Man muss von Rassismus betroffene Menschen in der Beratung ernstnehmen und so Vertrauen in den Rechtsstaat schaffen.
Zur Person
Gilberte Raymonde Driesen lebt seit 2007 in Deutschland. Sie hat Germanistik und Romanistik studiert und als Gymnasiallehrerin im Senegal gearbeitet.
Heute ist sie hauptberuflich für das Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE) in Mülheim tätig und arbeitet nebenamtlich als Diversitätstrainerin, etwa in Vereinen, Gemeinden, Kitas und Schulen, aber auch im Rahmen deutsch-afrikanischer Schulpartnerschaften für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Ehrenamtlich gehört Driesen dem Vorstand des Integrationsrates an und leitet den deutsch-senegalesischen Bildungs-, Kultur- und Sozialverein Axatin e.V. (www.axatin.de). Für die Mülheimer Grünen sitzt sie im Bildungsausschuss.