Mülheim. Auch die Mülheimerin Gilberte Raymonde Driesen erlebt im Alltag Rassismus. Die Pädagogin fordert eine intensive Bildungsarbeit auf allen Ebenen.
Der Polizei-Mord an dem 46-jährigen Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis hat auch hierzulande die Diskussion darüber befördert, wie rassistisch unsere Gesellschaft ist und was man gegen Rassismus tun kann und muss. Dass in Mülheim Menschen aus 140 Nationen zusammenleben, unterstreicht die lokale Relevanz und die strategische Bedeutung des Themas, zu dem die im Senegal geborene Mülheimerin Gilberte Raymonde Driesen uns viel zu sagen hat.
Wie und wo erleben Sie im Alltag Rassismus?
Gilberte Raymonde Driesen: Überall. Zum Beispiel, wenn mir jemand sagt: ‚Sie sprechen aber gut Deutsch, dafür, dass Sie eine Schwarze sind‘ oder darüber staunt, dass ich als schwarze Frau eine akademische Ausbildung absolviert habe. Nicht nur ich erlebe Rassismus, wenn ich als Schwarze bei Bewerbungen, trotz gleicher Qualifikation, schneller aussortiert werde als weiße Bewerber.
Ich erlebe Rassismus, wenn meine Kinder in der Schule als Neger bezeichnet werden und Lehrer das als harmlose Kinderspielerei abtun, wenn mich der Fahrkartenkontrolleur in der Straßenbahn als erstes anspricht und die Kellnerin im Bordrestaurant der Deutschen Bahn alle fragt, was sie essen oder trinken möchten und mich nicht. Rassismus erlebte ich auch, als neue Nachbarn nur mit Herrn Driesen sprechen wollten, weil sie mich in meinem eigenen Haus für die Putzfrau hielten.
Kennen Sie durch Ihre Beratungsarbeit für Zuwandererfamilien auch einen amtlichen Rassismus, zum Beispiel bei der Polizei oder in Schulen?
Ja. Auch das gibt es: Ich denke an einen schwarzen Schüler, der von einem Lehrer zu hören bekam: „Für dich ist eine Drei gut genug, weil du Ausländer bist!“ oder: „Du kannst ja beim Kistenschleppen helfen. Das können Neger gut, weil sie kräftig sind!“
Auch eine schwarze Mutter und ihr Sohn suchten meinen Rat, nachdem sie auf einer Polizeiwache vergeblich versucht hatten, einen Diebstahl anzuzeigen. Statt angehört zu werden und Hilfe zu bekommen, wurden Sie von den Beamten handgreiflich hinauskomplimentiert.
Zur Person
Gilberte Raymonde Driesen wurde 1973 in der Hauptstadt des Senegals, Dakar, geboren und lebt seit 2007 in Mülheim. Die Pädagogin und zweifache Mutter kandidiert am 13. September 2020 bei der Wahl zum Mülheimer Integrationsrat auf der Grün-Bunten Liste.
Als Stipendiatin hat sie in Dakar und Graz Germanistik und Romanistik auf Lehramt studiert und anschließend sieben Jahre als Gymnasiallehrerin im Senegal unterrichtet. Als Pädagogin arbeitet sie heute mit den Themenschwerpunkten Vielfalt des Engagements, Migration und Flucht für das Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE).
Nebenberuflich ist sie als entwicklungspolitische Trainerin bei Engagement Global (für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) tätig und begleitet internationale Schulpartnerschaften. Seit 2015 führt sie als Gründungsvorsitzende den deutsch-senegalesischen Bildungsverein Axatin.
Das hört sich schlimm an...
Ja. Aber man darf angesichts dieser Negativbeispiele auch nicht die vielen sensiblen und engagierten Lehrer, Polizisten, Sozialarbeiter, Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Nachbarn vergessen, die unter anderem meinen Rat suchen, weil sie den alltäglichen Rassismus den sie mit ansehen und mit anhören müssen, nicht einfach tatenlos hinnehmen, sondern etwas dagegen unternehmen wollen.
Was kann man gegen Alltagsrassismus unternehmen?
Die Betroffenen müssen sich Verbündete unter den Bio-Deutschen suchen, die bereit und in der Lage sind, sie zu unterstützen und Partei für sie zu ergreifen. Wir brauchen auf allen Ebenen eine intensive Bildungsarbeit, die nicht nur Rassismus aufdeckt und seine Ursachen beleuchtet, sondern eine antirassistische Haltung und die Menschenrechte fördert. Diese Bildungsarbeit muss den eurozentristischen Blickwinkel durch eine globale Multiperspektivität ersetzen. Nur so kann sich die faktische Vielfalt der Weltgesellschaft auch in den Schulbüchern, Klassenzimmern, Hörsälen, Behörden, Parlamenten und Ministerien, kurzgesagt in unserer sozialen Wirklichkeit widerspiegeln.
Warum haben wir mit Rassismus zu kämpfen?
Die Sklaverei und das koloniale Erbe der Imperialistischen Epoche, das von einer Überlegenheit der weißen Europäer ausgeht, steckt immer noch in den Köpfen. In Deutschland kommt das rassistische Erbe des Nationalsozialismus hinzu. Und natürlich geht es beim Rassismus auch um eine Mehrheit, die ihre Privilegien nicht mit einer Minderheit teilen möchte. Auch wenn Medien hier nur sehr einseitig über Afrika, Lateinamerika und Asien berichten, wenn es um Exotik oder um Armut, Krankheit, Gewalt und Krieg geht, aber nur selten einen Blick für die kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Leistungen in diesen Regionen der Erde und für deren strukturelle wirtschaftliche Benachteiligung haben, begünstigt das Rassismus.