Mülheim. Zweite Premiere der Spielzeit im Theater an der Ruhr in Mülheim: Wie das Stück „Anatomie eines Wortes/Ritt über den Bodensee“ überzeugen konnte.

Worte bestimmen unser Bewusstsein, unsere Beziehungen, sogar unsere Träume. Sprache wird gebraucht, aber auch missbraucht. Das macht die dreiteilige Produktion, die am Freitag im Theater an der Ruhr Premiere hatte, auf unterschiedlichste Weise deutlich. „Anatomie eines Wortes/Der Ritt über den Bodensee“ nach Texten von Anza Pamber und Peter Handke (Regie: Simone Thoma) wird zum vielseitigen und anregenden Theaterabend.

So unterschiedlich die drei Teile des Stückes auch sind, es gibt eine inhaltliche Klammer, die alles miteinander verbindet. Es ist das Wort, die Sprache. Die Bühne ist mit einer dicht beschriebenen Schriftrolle ausgelegt, auf der ein ausgezeichnetes sechsköpfiges Ensemble die Zuschauer zunächst in die Welt der Werbeagenturen versetzt. Dort wird verzweifelt nach einem knackigen Slogan für ein neues Automodell gesucht. Man wälzt Ideen, entwirft Konzepte, um die zündenden Worte zu finden.

Märchen-Oper basiert auf Text von Mülheimer Theatergründer

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Dann schließt sich der Vorhang und wird zur Projektionsfläche für einen Film (Regie: Peter Wedel). Die Märchen-Oper (Musik: Matthias Flake) basiert auf einem Text, den Theatergründer Roberto Ciulli (alias Anza Pamber) in Jugendtagen geschrieben hat. Es geht um eine kranke Prinzessin und einen Bauern, der sie mit Hilfe eines magischen Wortes heilen könnte. Doch als er endlich im Palast eintrifft, hat er das Zauberwort vergessen. Nach dem Tod der Prinzessin wird er zum Tode verurteilt.

Szenenfoto aus „Anatomie eines Wortes / Der Ritt über den Bodensee“ am Theater an der Ruhr in Mülheim.
Szenenfoto aus „Anatomie eines Wortes / Der Ritt über den Bodensee“ am Theater an der Ruhr in Mülheim. © Franziska Götzen

Gedreht auf der Mülheimer Pferderennbahn zeigt der Film in starken poetischen Sequenzen, wie Worte das Schicksal bestimmen, aber auch, wie Sprache Regeln diktiert, Macht verleiht und autoritäre Systeme zementieren kann (hier das Königshaus). Erfrischend für die Zuschauer, dass es dabei nicht ganz so ernst zugeht. Amüsante Wortspiele und skurrile Szenen geben die absolutistische Monarchie der Lächerlichkeit preis. Gespielt werden die Märchenfiguren von jungen Absolventen der Folkwang-Universität mit enormer Fertigkeit und viel Spielfreude. Imponierend ihr Darstellungsvermögen in den Nahaufnahmen.

Mülheimer Stück stellt Peter Handkes scharfsinnige Analysen vor

Das längste Drittel der Produktion ist schließlich „Der Ritt über den Bodensee“ nach Peter Handke. Keine stringente Handlung, sondern Episoden, verschiedene Dialoge, fügen sich an die vorherigen zwei Teile passend an. Wie viele Aspekte zum Thema Sprache der Autor mit scharfsinniger Analyse im wahrsten Sinne des Wortes zur Sprache bringt, ist beeindruckend: Worte machen Geschichten. Das Denken hat ebenso mit Worten zu tun wie das Erinnern und das Vergessen. Sprache wird als Machtinstrument missbraucht. Mit Worten kann man etwas verkaufen oder vormachen. Das Sagen ändert nichts – oder doch?

Alle Gedanken Handkes lassen sich hier gar nicht aufzählen. Das mit viel Applaus bedachte Stücke liefert in jedem Fall viele Anregungen zum Weiterdenken. Die letzte Feststellung des Abends lautet wortwörtlich: „Als Kind, wenn ich etwas haben wollte, musste ich zuerst sagen, wie es heißt.“

Weitere Vorstellungen im Spielplan unter www.theater-an-der-ruhr.de