Mülheim. Als eine Seniorin in Mülheim niedergestochen wird, handelt ein Paketbote: Mohamad Al Hasan rettet erst die Frau und stellt dann den Täter.
- Mitte August ist eine Seniorin an einem Kiosk in Mülheim niedergestochen worden
- Paketbote Mohamad Al Hasan beobachtete die Gewalttat, als er gerade auf seiner täglichen Tour war
- Der 40-Jährige reagierte couragiert. Hier erzählt er, wie er den Täter überwältigte
Als Paketbote ist Mohamad Al Hasan ein Dienstleister. Er liefert den Menschen das an die Haustür, was sie online bestellt haben. Was allerdings nicht Teil seines Jobs ist: Jagd auf Kriminelle. Und doch zögert der 40-Jährige keinen Moment, als er Mitte August Zeuge davon wird, wie ein Unbekannter einer seiner Stammkundinnen unvermittelt ein Messer in den Rücken rammt: Mohamad Al Hasan schreitet ein.
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„Ich war erst total unter Schock“, erzählt der zweifache Vater knapp zwei Wochen später in einem Büro des Verteilzentrums in Essen-Borbeck, von dem aus seine tägliche Route startet. Seine Kundschaft kenne er gut, das Liefergebiet in Mülheim bedient er seit rund drei Jahren. An diesem Mittwochmittag im August will Mohamad Al Hasan gerade ein Paket im roten Haus am Springweg abgeben, in dem auch der Kiosk sitzt, als er eine Diskussion zwischen einem Mann und einer Seniorin aus der Nachbarschaft bemerkt. „Der Mann ist erst etwas zurückgetreten und hat dann ein Messer aus seinem Rucksack geholt“, schildert Al Hasan. Wenige Sekunden später habe er es der Seniorin in den Rücken gerammt.
Messer-Angriff in Mülheim: „Wenn so etwas Schlimmes passiert, zählt jede Sekunde“
„Ich bin sofort zu ihr und habe sie festgehalten“, so der Hermes-Paketbote. „Sie war sehr stark, zum Glück. Weil ich wusste, wo ihre Familie wohnt, habe ich schnell Bescheid gesagt.“ Parallel verständigt Al Hasan die Polizei, über das Headset in seinem Ohr hat er eine Standleitung zu den Einsatzkräften und informiert sie laufend. Wie konnte er so geistesgegenwärtig reagieren? „Ich weiß es selber nicht. Aber wenn so etwas Schlimmes passiert, zählt jede Sekunde“, sagt Mohamad Al Hasan.
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„Als mich die Polizei gefragt hat, ob der Mann noch da ist, habe ich bemerkt, dass er weg ist.“ Der Paketbote setzt sich in seinen Wagen, nimmt die Verfolgung auf. „Ich meinte zur Polizei: Ich fahre ihm jetzt hinterher.“ Nach etwa 300 Metern habe er den Mann entdeckt, der zuvor in Richtung Nordstraße geflohen war. „Ich bin langsam hinterhergefahren und habe der Polizei die Adresse gesagt.“ Plötzlich, erinnert sich der Paketbote zurück, habe ihn der Mann bemerkt, sei auf das Auto zugestürmt.
„Er war sehr nervös und hat an den Türen gerüttelt.“ Unverrichteter Dinge habe er sich abgewandt und sei auf eine Bushaltestelle zugelaufen. „Da standen viele Kinder und alte Leute“, sagt Mohamad Al Hasan. „Da bin ich ausgestiegen und habe versucht, mit ihm zu reden.“ Der Mann sei aufgebracht gewesen, habe sich nicht beruhigen lassen. „Das Messer hatte er nicht mehr in der Hand, aber seinen Rucksack noch. Ich wusste nicht, was da noch alles drin war.“
Paketbote informierte Polizei Mülheim laufend
Um die Kinder an der Haltestelle zu schützen, habe Al Hasan sich auf den Mann gestürzt und ihn zu Boden gebracht. „Ich habe ihn festgehalten, damit er sich nicht bewegen kann.“ Der Polizei, die mittels Headset im Ohr live mithört, schildert er, was passiert ist. „Sie haben gesagt, dass in zwei Minuten jemand da ist.“ Als die Einsatzkräfte schließlich eintreffen, kann Mohamad Al Hasan durchatmen.
„Am Kiosk war auch ein Krankenwagen, das hat mich beruhigt. Aber ich hatte Angst um die Dame, wir kennen uns schon lange.“ Er nimmt sich ein wenig Zeit und betet, „damit sie schnell gesund wird“. Seinem Vorgesetzten sagt Al Hasan Bescheid, dass er seine Route unterbrechen musste – „Das ist Pflicht.“ Kurz schildert er, was vorgefallen ist. „Ich war fassungslos“, sagt Chef Halil Ibrahim Gimi. „Gut, dass ihm nichts passiert ist. Aber das hätte auch anders enden können.“
Messerattacke in Mülheim: „Mir ist ja nichts passiert“
Für Mohamad Al Hasan scheint sein Mut kaum der Rede wert. „Es war sonst keiner da, ich musste einfach was machen“, sagt er. „Ich würde mir ja auch wünschen, dass mir jemand hilft, wenn ich in so einer Lage wäre.“ Nach dem Vorfall setzt der Paketbote seine Route fort. „Wieso auch nicht“, fragt er achselzuckend und lächelt, „mir ist ja nichts passiert.“ Nach Feierabend erzählt er seiner Frau nur kurz, dass es „Probleme mit einem Mann gab“, mehr nicht. „Ich wollte nicht, dass die Kinder sich Sorgen machen.“
Mittlerweile, so Al Hasan, werde nicht nur seine elfjährige Tochter in der Schule, sondern auch er ständig angesprochen. „Viele sagen, dass sie mich im Fernsehen gesehen haben und bedanken sich bei mir.“ Kürzlich habe ihn eine Kundin spontan zum Frühstück eingeladen, „das war sehr nett, wir haben uns gut unterhalten“. Länger als eine Stunde habe er aber nicht bleiben können, die Pflicht wartete.
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„Wenn man immer freundlich ist, kommt es freundlich zu einem zurück“, sagt der gebürtige Syrer. Seit rund sieben Jahren lebt er in Deutschland, drei Jahre davon nun in Mülheim, in der Broicher Mitte. „Ich liebe meine Stadt. Ich kenne viele Leute hier und mich erkennen auch viele. ,Hallo Paketbote’, sagen sie dann.“ Mit der Familie der attackierten Seniorin steht Al Hasan in regelmäßigem Kontakt. „Alle zwei Tage frage ich nach, wie es ihr geht“, erzählt er. „Hoffentlich kann ich bald wieder persönlich bei ihr vorbeikommen.“