Mülheim. Die „Pestsäule“ im Mülheimer Raffelberg wurde beschmiert. Die Inhalte gehen offenbar auf Verschwörungstheorien zurück. Was bislang bekannt ist.

Als Ute und Heiner Schmitz bei ihrem täglichen Morgenspaziergang im Raffelbergpark an der Kunstinstallation „Pestsäule“ vorbeikommen, sehen sie, dass etwas nicht stimmt. Die Tafeln sind mit Farbe beschmiert. Bei näherem Hinsehen erkennen die beiden krude Botschaften: Eine der Bildtafeln zeigt Ärzte und Pflegepersonal der Intensivstation des Evangelischen Krankenhauses Mülheim, sie ist in roten Graffiti-Buchstaben mit den Worten „Dumme Schafe“ überschrieben worden. Auch das Porträt der Biontech-Entwickler Özlem Türeci und Ugur Sahin sowie das Konterfei von Ex-Kanzlerin Angela Merkel wurden wild beschmiert.

Als „Dumme Schafe“ werden EKM-Mitarbeiter vom Täter betitelt.
Als „Dumme Schafe“ werden EKM-Mitarbeiter vom Täter betitelt. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Zwischen den sinnlos wirkenden Schmierereien und den Beleidigungen tauchen das Wort „Deepstate“ (tiefer Staat), die Abkürzung NWO (Neue Weltordnung) und der Buchstabe „Q“ auf. Alles Begriffe, die in der Verschwörungstheorie immer wieder auftauchen, gerade in Bezug auf Corona. „Wir waren fassungslos“, schildert Heiner Schmitz. Als Teil der Künstlergruppe AnDer hat er an der „Pestsäule“ mitgearbeitet, die Anfang Juni (wir berichteten) im Raffelbergpark aufgestellt wurde und ursprünglich auch am Witthausbusch ausgestellt werden sollte. Das Ehepaar verständigte umgehend die Polizei, stellte Anzeige wegen Sachbeschädigung.

Mülheimer Polizei hat Staatsschutz eingeschaltet

Anfang Juli präsentierte die Künstlergruppe AnDer die Pestsäule im Raffelbergpark. Im Bild (v.l.): Uwe Dieter Bleil, Natalija Usakova, Vanessa Hötger, Heiner Schmitz und Joachim Poths.
Anfang Juli präsentierte die Künstlergruppe AnDer die Pestsäule im Raffelbergpark. Im Bild (v.l.): Uwe Dieter Bleil, Natalija Usakova, Vanessa Hötger, Heiner Schmitz und Joachim Poths. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die Polizei teilt auf Nachfrage mit, dass der Staatsschutz die Ermittlungen aufgenommen habe, im Raum steht ein verschwörungstheoretischer Hintergrund. „Sobald der Verdacht in so eine Richtung geht, prüft der Staatsschutz das“, erklärt Polizeisprecherin Vivien Volkmann. Heiner Schmitz sieht die sogenannte QAnon-Bewegung im Verdacht, das „Q“ gilt als eines der Merkmale der Gruppierung. „Das braucht man nur zu googeln und stößt sehr schnell darauf“, so der Fotograf.

Derzeit wird noch geklärt, wie es mit der „Pestsäule“ weitergeht.
Derzeit wird noch geklärt, wie es mit der „Pestsäule“ weitergeht. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Die Bewegung hat ihren Ursprung in den USA und geht auf im Internet verbreitete Verschwörungstheorien zurück. Grundgedanke ist der Glaube an einen „tiefen Staat“, eine weltweit vernetzte, geheime Elite, die ganze Staaten unter ihrer Kontrolle hat – allen voran die USA. Wie viele Anhänger die Bewegung hat, ist unklar. BKA-Präsident Holger Münch erklärte in einem Tagesspiegel-Interview (Bezahlinhalt) im Vorjahr: „Über die ,Corona-Leugner’-Bewegung ist QAnon auch in Deutschland angekommen.“

Mülheimer Künstlergruppe hofft auf Zeugenhinweise

Verschwörungstheorien verbreiteten sich besonders angesichts von Ereignissen, die weitreichende, krisenhafte Konsequenzen für den Alltag haben. Das Gefühl von Machtlosigkeit und nur schwierig zu erklärende Zusammenhänge befeuerten solche Entwicklungen. „Auch wenn die Anhängerschaft in Deutschland überschaubar ist: Die Dynamik ist groß und grundsätzlich können Verschwörungstheorien eine gefährliche Wirkung haben“, so der BKA-Chef.

Dass diese Entwicklung nun auch in Mülheim angelangt zu sein scheint, lässt Heiner Schmitz erschüttert zurück: „Mir ist das einfach unbegreiflich.“ Neben der Perfidität des Ganzen treffe ihn vor allem,

Die „Pestsäule“

Das Kunstobjekt „Pestsäule“ ist an eine Tradition aus dem Mittelalter angelehnt. Mit sogenannten „Pestsäulen“ wurde nach überstandenen Pandemien Dank ausgedrückt.

Die acht AnDer-Kunstschaffenden haben sich individuell mit dem Thema der Corona-Eindämmung auseinandergesetzt und dabei verschiedene Ansätze gefunden. Die neun Bildtafeln sind 1,50 mal 1,50 Meter groß, die Säule ist fünf Meter hoch und an einem Baum befestigt.

mit welcher Dreistig- und Achtlosigkeit das Werk der achtköpfigen Künstlergruppe beschädigt wurde. „Wir müssen jetzt prüfen, ob wir die Säule abbauen lassen oder ob die Tafeln vielleicht gereinigt werden können“, erklärt er. Dadurch, dass die Säule fünf Meter hoch ist, vermutet er, dass der oder die Täter mit einer Leiter oder einem Gerüst angerückt sein könnten, „was für ein Aufwand, unglaublich“. Anhaltspunkte oder Hinweise zum Tathergang gebe es nach derzeitigem Stand noch nicht. „Wir hoffen aber, dass sich vielleicht Zeugen melden“, so der Künstler.