Mülheim. Politischer Druck ist der letzte Strohhalm für eine Zukunft der Röhrenwerke von Vallourec in Mülheim und Düsseldorf. Was im Hintergrund läuft.

Während der Vallourec-Konzern kategorisch ausgeschlossen hat, seine zwei Stahlrohr-Produktionsstätten in Düsseldorf und Mülheim mit aktuell rund 2400 Beschäftigten in irgendeiner Form selbst am Leben zu halten, wenn Staatshilfen in bis zu dreistelliger Millionenhöhe fließen könnten, stellt sich eine Frage: Gibt es noch eine reelle Chance für einen Investoren, die Werke zu übernehmen? Im politischen Hintergrund wird daran gearbeitet.

Was in den vergangenen sechs Monaten seit der Ankündigung von Vallourec, einen Verkauf der Werke anzustreben, nicht von Erfolg gekrönt war, soll nun noch mal Thema am Verhandlungstisch werden: An allen Fronten ist Politik unterwegs, Druck zu erzeugen auf den französischen Konzern, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken. Das Erschrecken über das Aus für die deutsche Stahlverarbeitung bei Vallourec angesichts der weltweiten Krisen ist groß.

Scholz, Habeck, Wüst: Alle politischen Ebenen sind alarmiert

Mülheims OB Marc Buchholz (CDU) hat Kanzler Scholz aufgefordert, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Arbeitsplätze in der Stahlindustrie in Deutschland zu halten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich daraufhin eingeschaltet. Die SPD hat derweil in der Vorwoche Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in einem Brandbrief aufgefordert, umgehend eine politische Initiative zu starten.

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Es gelte, „jede Möglichkeit auszuloten, um für einen Weiterbetrieb zu sorgen“, hieß es in dem Schreiben, das von Oppositionsführer Thomas Kutschaty und sieben weiteren örtlichen SPD-Abgeordneten aus Land, Bund und EU – darunter Sebastian Fiedler (MdB) und Rodion Bakum (MdL) aus Mülheim – unterzeichnet ist. Nahtlose Stahlrohre, wie sie Vallourec produziere, seien auch bei der Energiewende unverzichtbar, etwa für den Aufbau eines Wasserstoffnetzes oder den geplanten massiven Ausbau von Photovoltaik-Technik.

Ein Argument für Staatshilfen: Unabhängigkeit von globalen Lieferketten

Ob OB, Politik oder Arbeitnehmervertreter: Sie alle fürchten auch eine Kettenreaktion am heimischen Stahlstandort NRW mit seinen 45.000 Industriearbeitsplätzen. Nicht nur zuliefernde Mittelständler könnte ein Vallourec-Aus Ende des kommenden Jahres die Existenz kosten. Auch die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann in Duisburg sind eng mit Vallourec verzahnt. Für einen maßgeblichen Anteil der dortigen Stahlproduktion hat Vallourec in der Vergangenheit die Abnahme garantiert. Angesichts der Krisen weltweit, so argumentieren Politik und Arbeitnehmerschaft, müsse der Staat alles dafür tun, sich bei Energiewende-Techniken unabhängig von globalen Lieferketten zu halten.

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Die SPD forderte von Wüst mehr Einsatz für die vom Jobverlust bedrohten 2400 Familien, auch einen Stahlgipfel. Wüsts Staatskanzlei reagierte auf Anfrage dieser Redaktion zurückhaltend. Die Bedeutung Vallourecs für den Industriestandort sei groß, so ein Sprecher. Deshalb bedauere die Landesregierung auch die Konzernentscheidung zu den Werksschließungen. Letztlich aber träfen Unternehmen Entscheidungen zur Fortführung von Standorten in eigener Verantwortung.

Staatskanzlei von Ministerpräsident Wüst: Schlüsselindustrie Stahl gilt es zu halten

Vage blieb der Sprecher, inwieweit die Landesregierung im Hintergrund noch nach Möglichkeiten sucht, zumindest für einen Teil der 2400 Arbeitsplätze noch Perspektiven zu schaffen. Man stehe mit Vallourec und Arbeitnehmervertretern „im regelmäßigen Austausch“, hieß es nur. Der Sprecher der Staatskanzlei betonte, dass Ministerpräsident Wüst Stahl als systemrelevant für die heimische Wirtschaft ansehe.

„Der für die klimaneutrale Stahlproduktion notwendige Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, in den ,grünen Stahl’, ist eine gewaltige, aber für unseren Wirtschaftsstandort existenzielle Aufgabe“, so der Staatskanzlei-Sprecher. „Dazu kommen Pandemie und Krieg, die eine Zeitenwende markieren. Daher, auch das hat der Ministerpräsident bereits häufig unterstrichen, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um die für den ganzen Standort wichtige Schlüsselindustrie Stahl in Nordrhein-Westfalen und Deutschland zu halten.“

Konkret zu Vallourec hieß es nur, dass ein Sozialplan und die Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen „unverzichtbar“ seien. Die Verhandlungsbereitschaft Vallourecs dazu sei zu begrüßen. „Die Landesregierung wird bei diesem Prozess genau hinschauen.“

Informierte Kreise: Strategischer Investor ist weiterhin bereit zum Einstieg bei Vallourec

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Aus gut unterrichteten Kreisen heißt es derweil, dass weiterhin ein strategischer Investor mit Produktionsportfolio im örtlich nahen Umfeld großes Interesse an einer Werksübernahme zeigt. Dabei soll er skizziert haben, wie ein von ihm im Bestand gehaltener Produktionsbetrieb durch eine Erweiterung mit Vallourec-Knowhow Geschäftsfelder neu erschließen beziehungsweise ausbauen will. Der potenzielle Käufer soll einige Erfahrung in Energiewende-Techniken (auch für den Verkehr) in die Waagschale werfen können.

Um in dieser Sache noch etwas möglich zu machen, soll nun maximaler politischer Druck auf die Vallourec-Führung organisiert werden – bis hin nach Düsseldorf, Berlin und Brüssel. Der Vallourec-Verwaltungsrat hatte zuletzt alle drei übrig gebliebenen Übernahmeangebote abgelehnt. Auch weil die potenziellen Investoren wegen der hohen Verluste, die Vallourec mit seinen deutschen Werken schreibt, und den wahrscheinlich hohen Kosten einer Restrukturierung vom französischen Konzern noch zwei- bis gar dreistellige Millionensummen gefordert hatten für ihren Einstieg.

Die Gretchenfrage: Gelingt es, Vallourec zurück an den Verhandlungstisch zu bringen?

„Wer bekommt Vallourec jetzt an den Verhandlungstisch zurück?“, stellt der SPD-Landtagsabgeordnete Rodion Bakum die Gretchenfrage und bringt Millionen-Bürgschaften des Landes ins Spiel, mit deren Hilfe Vallourec ein Deal womöglich noch schmackhaft gemacht werden könne. Die nächsten Tage seien entscheidend, sagt Bakum.

Bundespolitiker Fiedler setzt auch ein deutsch-französisches Interesse, „kritische Infrastruktur, Knowhow und Ingenieurleistung nicht nach Brasilien zu verhökern“, wo Vallourec seine Produktionskapazitäten bekanntlich so weit auszubauen gedenkt, dass bisher in Deutschland gefertigte Rohre dort (preisgünstiger) hergestellt werden können.

Derweil liefen am Dienstagmorgen erste Verhandlungen zu einem Sozialtarifvertrag bei Vallourec an.