Mülheim. Die Grande Dame des Gegenwartstheaters steigt in Mülheims „Stücke“-Wettbewerb ein. Elfriede Jelinek hat zur Pandemie geschrieben. Nicht nur das.
Elfriede Jelinek bricht ihren eigenen Rekord – nun ist sie bereits zum 21. Mal zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Am Sonntag, 22. Mai, um 18 Uhr ist in der Stadthalle ihr neues großes Stück zu sehen, bei dem die Bühne und die Bühnentechnik zeigen müssen, was sie können. Mit vier Trailern muss allein das Bühnenbild vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg nach Mülheim transportiert werden. Eine Herausforderung.
Aber der Aufwand lohnt sich. Denn: „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ ist das Stück zur Pandemie: „eine bitterböse Kakofonie am erhöhten Puls unserer Zeit“. Es geht um das Virus, die Gesellschaft, den Tod: Jelinek lässt den Wortschwall an Nachrichten, Analysen, Warnungen, Gerüchten und Verschwörungstheorien aufbranden, der uns seit Beginn der Covid-19-Pandemie überflutet.
Bildwelten überlagern sich: vom Superspreader-Event zu Odysseus
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Dabei überlagern sich auch Bildwelten: Aus dem Superspreader-Event in Ischgl wird das Gelage von Odysseus und seinen Gefährten bei der Zauberin Kirke, die die Männer in Schweine verwandelt und in Fleischfabriken transportiert, wo weitere Ansteckungsgefahr droht. „Rechtspopulismus und Antisemitismus treffen auf Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Black Lives Matter“, und über allem schwebt die Frage, wie wir – nachdem wir aus dem Paradies vertrieben wurden – miteinander und mit der Natur um uns herum leben wollen“, heißt es in der „Stücke“-Ankündigung.
Die Uraufführung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg inszenierte die ebenfalls hoch angesehene Intendantin Karin Beier, deren Regie-Arbeiten bereits mehrfach bei den Mülheimer Theatertagen gefeiert wurden. Auf der Bühne stehen renommierte Schauspielerinnen und Schauspieler wie etwa Eva Mattes und Ernst Stötzner.
Auf Mülheimer Bühne stehen auch Eva Mattes und Ernst Stötzner
Elfriede Jelinek, geboren 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark und aufgewachsen in Wien, muss man eigentlich nicht vorstellen. Sie zählt zu den bedeutendsten Dramatikerinnen der letzten Jahrzehnte im deutschsprachigen Raum, ihre Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Nobelpreis für Literatur in 2004.
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Die Autorin erhielt bereits früh eine umfassende musikalische Ausbildung. 1960 begann sie am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition zu studieren. Anschließend, nach dem Abitur 1964, studierte sie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Nach Abbruch des Studiums 1967 begann sie zu schreiben.
Autorin gewann den Mülheimer Dramatikpreis schon viermal
Den Mülheimer Dramatikpreis gewann sie bereits viermal. Zweimal erhielt sie die Publikumsstimme bzw. den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage. Neben Theaterstücken verfasst sie auch Lyrik, Essays, Übersetzungen, Hörspiele, Drehbücher, Libretti und Romane. So produktiv wie die publikumsscheue Jelinek ist kaum ein Dramatiker. Sie reagiert prompt auf aktuelle Ereignisse und schreibt, schreibt, schreibt.
Die Auswahljury der Mülheimer Theatertage begründete die Nominierung unter anderem so: „Es ist von satirischer Verve und Bosheit, wie Jelinek von den verschwörungsinkriminierten Mobilfunkmasten der Corona-Leugner zum Schiffsmast des Odysseus und von dort generell auf die Schweinemast zu sprechen kommt, speziell auf die Fleischfabriken à la Tönnies, wo auf engstem Raum wie die Säue zusammengepferchte Billiglohnarbeiter sich mit dem Virus angesteckt haben.“ (Christine Dössel)
„Elfriede Jelinek greift entschlossen ins Medien-Mythen-Mutationen-Leben und bereitet es als abstoßend faszinierendes Zerrspiegelpanorama auf… so profund wie ironisch“, schrieb die FAZ über das Stück.
Karten gibt es auf stuecke.de