Seit 40 Jahren stehen bei den „Stücken“ die Autoren im Mittelpunkt. Anlässlich des Geburtstags waren alle bisherigen Preisträger eingeladen, einen persönlichen Blick auf Mülheim und die Theatertage zu Papier zu bringen. Von den 22 noch lebenden Gewinnern ist die Hälfte der Einladung gefolgt. Die Altersspanne reicht von 24 bis 89 Jahren.
Ihre Stimmen finden sich versammelt im Band „Was war, ist jetzt.“. So betitelte Elfriede Jelinek, vierfache Preisträgerin, ihren Beitrag. Mit Anekdoten rund um die Theatertage, Stück- und Romanauszügen oder Reflexionen zum Theater gewähren Gerlind Reinshagen, Klaus Pohl, Volker Ludwig, Werner Buhss, René Pollesch, Elfriede Jelinek, Fritz Kater, Helgard Haug & Daniel Wetzel/Rimini Protokoll, Peter Handke, Katja Brunner und Wolfram Höll Einblicke in ihr Leben und Schaffen: Ein vielstimmiger literarischer Chor gratuliert zu 40 Jahren Mülheimer Theatertage. Nachfolgend einige Auszüge.
Hoch sollst du leben
Klaus Pohl (Preisträger von 1985): Als ich im Jahr 1985 – 30 Jahre soll das nun schon her sein? – für mein Stück „Das Alte Land“ den Mülheimer Dramatiker Preis erhielt, war ich glücklich. Ich war in Köln bei Jürgen Flimm am Schauspielhaus engagiert in meiner Doppel-Funktion – oder soll ich sagen: Doppel-Strategie? – als Haus-Autor-Dramatiker und als Schauspieler. Beflügelt von der Mülheimer Anerkennung und dem Preis schrieb ich das Stück „La Balkona Bar“. Es wurde in Köln sehr erfolgreich uraufgeführt, eh es die Runde machte durch die deutschen Theater. . . Dein 1985 gepriesener Dramatiker Klaus Pohl singt Dir: Hoch sollst Du leben. Drei Mal hoch. Hoch. Hoch. Happy Birthday. Hier mein Geschenk. Kapitel 16 aus meinem Theater-Roman nach wahren Begebenheiten „Sein oder nicht sein“.
Piepen auf den Kopf gehauen
Volker Ludwig, Dramatiker und Gründer des Kinder- und Jugendtheaters Grips, Berlin (Preis 1987): Dass das Mülheimer Publikum zu 95% für „Linie 1“ votierte, wunderte uns nicht. Wohl aber, dass die Jury sich diesem Votum einmütig anschloss, wofür sie gebührend beschimpft wurde. Beklagt wurde besonders die „Professionalität“, mit der ich Publikumsbedürfnisse „bediene“. Nun nehme ich die Bedürfnisse meines Publikums sehr ernst. . .
Was war das Schönste am Sieg in Mülheim? Natürlich das Preisgeld! Erstmals 20 000 Mark! Das erlöste mich von meiner Hauptsorge: Wie kann ich mich bei den vielen Mitarbeitern am Gesamtkunstwerk „Linie 1“ bedanken? Im Juni wurde ich 50. Da haben wir in einem Filmstudio auf der Havelinsel Eiswerder die ganzen Piepen auf den Kopf gehauen. Alle, alle zusammen.
Champagner bestellt
Werner Buhss, Preis 1996 für „Bevor wir Greise wurden“: Am Tag der Mülheimer Entscheidung war ich Gast des Heidelberger Stückemarkts. Da geht’s abends in der Regel zur Sache. Ich lag also im Hotelbett, als der Geschäftsführer meines Verlags früh anrief und fragte, ob ich was zum Sitzen habe. War ja nicht nötig. Du willst mir sagen, dass ich Mülheim gewonnen habe, sagte ich. Ich wollte weiterschlafen, aber mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es Zeit für das umsonstene Frühstück war. Unten saßen Kerstin Specht und Schimmelpfennig, die das schon wussten. Also musste ich aus meiner schmalen Börse eine Flasche Champagner bestellen. Leider hatten sie in dem Hotel welchen.
Festivalleiter als Herzstück
René Pollesch (Preis 2001 für „world wide web-slum“, 2006 für „Cappuccetto Rosso“, Publikumspreis 2009 für „Fantasma“: Wenn ich an Mülheim denke und an die „Stücke“, denke ich zuallererst an Udo Balzer. Er ist für mich, jedenfalls von 2001 bis zur Einladung von „Kill your Darlings!“ 2012, das Herzstück von Mülheim gewesen. . . Udo Balzer hat mich damals, zu meiner ersten Einladung 2001, vom Flughafen abgeholt, und ab da war das Mülheim-Festival für mich was anderes. Es war unangestrengt, lässig, es redete wie Udo. Auch die Publikumsdiskussionen waren lässig, kompetent, engagiert. . .
Meine ersten Stücke begannen mit ihm und endeten mit ihm. Alles an ihm sprach von dem Engagement für das Festival, und er ließ keinen Zweifel daran, wer die Hauptfiguren für ihn waren: die eingeladenen Schauspieler, Regisseure und Dramatiker. . . Natürlich gibt es eine Menge mehr sehr, sehr guter Erinnerungen an meine Aufenthalte in Mülheim. Zum Beispiel, dass meine Beziehung zu der Stadt so eng wurde, dass ich dort drei Stücke in Koproduktion mit dem Ringlokschuppen und Ruhr 2010 machen durfte.
Handschriftlicher Gruß
Peter Handke, Preis 2012 für „Immer noch Sturm“. Per Brief mit Kopf eines New Yorker Hotels kommt der handschriftliche Gruß von Peter Handke: Ich halte mich kurz und sage nur, dass ich mich in Mülheim aufgenommen gefühlt habe unter Jung und Alt, mit Wein und (weniger) Wasser, unter Einheimischen und Auswärtigen.
Textkörper treffen Freunde
Elfriede Jelinek (Preis 2002 für „Macht nichts“, 2004 für „Das Werk“, 2009 für „Rechnitz“ und 2011 für „Winterreise“: Vielen Dank für die Einladung. Textkörper willkommen, und die wollen auch kommen, die wollen hier ihre Freunde treffen! Das Nach wird gebildet, auch wenn es sich dann als das Davor nicht mehr erkennen kann. Und beim nächsten Mal wird etwas andres herausgeschält, schauen wir mal, was da zum Anschein kommt, das hier, durch ein Treffen verschiedener Stücke, zum Vorschein gebracht wird!
Romantisches Mülheim
Der Beitrag von Helgard Haug und Daniel Wetzel von „Rimini Protokoll“ ist ein Telefonat mit Schauspieler und Autor Ulf Mailänder zu ihrem Experten-Theater „Das Kapital, Erster Band“, Preisträger-Stück von 2007: Erstmal hat der Ort Mülheim mich positiv überrascht durch die wilde Flusslandschaft, auf die man da blicken kann, in der ich am liebsten sofort losgewandert wäre, in diese Landschaft hinein mit diesem mäandernden Fluss. Also ich fand die Location selber, den Ort Mülheim sehr romantisch, schön. Ich konnte plötzlich verstehen, warum die ganzen reichen Leute da leben.