Mülheim. Die Arbeitsbelastung für Mülheimer Tierärzte ist hoch, einige haben bereits Aufnahmestopps verhängt. Warum die Situation so angespannt ist.
Viele Tierärztinnen und Tierärzte in Mülheim stehen unter Druck. „Es ist in Corona-Zeiten deutlich mehr geworden“, sagt Helena Fröhlich über den Andrang auf ihre Broicher Praxis. Sie selbst musste zwar noch keine Haustierhalterinnen und Haustierhalter abweisen, weiß aber von Kolleginnen und Kollegen, die bereits die Notbremse gezogen und einen Aufnahmestopp verhängt haben.
Das hat gleich mehrere Ursachen. Zum einen hat die Corona-Krise generell für einen Haustier-Boom gesorgt. Wer schon lange von Hund, Katze oder Vogel träumte, hat sich den Traum nun erfüllt – auch, da dank Homeoffice mehr Zeit blieb, sich zu Hause um den tierischen Familienzuwachs zu kümmern.
Mülheimer Tierärztin: Viele Hundebesitzer mit Erziehung überfordert
Problematisch ist dabei laut Tierärztin Martina Merkt allerdings, dass pandemiebedingt auch Hundeschulen lange geschlossen waren. Die Folge: In ihre Kleintierpraxis am Schultenberg würden derzeit häufig Haustierbesitzerinnen und Haustierbesitzer kommen, die mit der Erziehung ihres Vierbeiners überfordert sind.
„Ich vermittle die Besitzer dann an Hundeschulen weiter. Aber häufig ist es jetzt schon zu spät, da viele der Hunde bereits ein oder 1,5 Jahre alt sind“, so Merkt, die in ihrer Praxis generell einen „deutlichen Zuwachs“ erlebt.
Mehr Tierarztbesuche in Mülheim durch Homeoffice
Dass Mülheimerinnen und Mülheimer vermehrt von Zuhause aus gearbeitet haben, hat laut Christoph Höptner außerdem dazu geführt, dass die Besitzer schneller auf Krankheiten ihrer Haustiere aufmerksam werden.
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„Viele Tierhalter waren oder sind im Homeoffice und haben endlich Zeit für ihre Tiere und beobachten sie viel mehr. Sie merken also auch viel häufiger: Da stimmt ja etwas nicht mit meinem Tier“, so Höptner, der seit 27 Jahren als Veterinär arbeitet.
Viele Studierende entschieden sich gegen eigene Tierarztpraxis
Als der heute 57-Jährige neu im Beruf war, hatte er noch deutlich mehr männliche Kollegen. Mittlerweile liegt der Anteil der Frauen unter den deutschen Tiermedizinstudierenden bei fast 90 Prozent. Außerdem entscheiden sich immer mehr von ihnen gegen die Selbstständigkeit. Mit Blick auf Einkommen, Arbeitszeiten und Verantwortung ist für viele eine Stelle in einer Behörde oder einer Organisation attraktiver, als freiberuflich tätig zu sein, so Höptner.
Hinzu kommt, dass die Zahl der Studienplätze bundesweit auf 1000 pro Jahr gedeckelt ist, obwohl die Branche – wie viele andere – von einer Rentenwelle betroffen ist. Christoph Höptner kritisiert außerdem den hohen Konkurrenzdruck zwischen Kolleginnen und Kollegen. Besonders „die Dumping-Preise“ vieler Praxen lassen ihn mit dem Kopf schütteln.
Preisdruck bei Mülheimer Tierärzten
„Wir haben in unserer Praxis zum Beispiel Geräte zum Röntgen oder um Blutbilder anzufertigen“, so der Mülheimer. „Die sind sehr teuer, aber notwendig. Sicherheit steht für mich an erster Stelle.“ Er kritisiert daher, dass viele Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit „unter Wert“ verkaufen.
Der enorme Druck führe dazu, dass viele Tierärzte und Tierärztinnen im Ruhrgebiet ihre Praxen bereits an große Unternehmen verkauft haben. Für ihn selbst sei das keine Option. Seinen Beruf liebt er auch nach fast 30 Jahren noch, so Höptner: „Tiere sind für mich ein Seelenbalsam. Gerade in Zeiten von Krieg und Corona.“
Hohe Belastung im Beruf
Laut einer internationalen Studie des Deutschen Tierschutzbundes begehen Tierärztinnen und Tierärzte überdurchschnittlich häufig Suizid.
Bei einer Studie zum Thema Stressbelastung aus dem Jahr 2011 gab außerdem die Hälfte der befragten Veterinäre und Veterinärinnen an, durch den Beruf sehr belastet zu sein – aufgrund von schlechter Bezahlung, hohem Leistungsdruck, dem Umgang mit den Patientenbesitzern und der Konfrontation mit dem Thema Tod.