Mülheim. Die Pandemie hat Armut verstärkt und die Form der Hilfen verändert. Schreyer von der Mülheimer Diakonie über die Tafel, Lieferservice und mehr.

Der Geschäftsführer des Diakoniewerkes an der Georgstraße 28, Dominik Schreyer, berichtet im Gespräch mit dieser Zeitung, wie die Pandemie den Tafelbetrieb für bedürftige Kunden verändert hat, die nicht nur Lebensmitteln hungern und was er in der Corona-Zeit gelernt hat.

Wie hat Corona den Tafelbetrieb verändert?

Schreyer: In der ersten Phase der Corona-Pandemie konnten wir keine Lebensmittel mehr verteilen. Die Lebensmittelausgabe an täglich 150 Menschen in der Warteschlange, die eng beieinander bis auf die Straße standen, war unter Corona-Bedingungen nicht mehr zu machen. Gott sei Dank konnten wir mit Hilfe der Firma Aldi einen Lieferservice organisieren, mit dem wir pro Woche 500 Lebensmitteltaschen ausliefern konnten. Wir haben den Lieferservice für bedürftige Menschen mit Mobilitätseinschränkungen beibehalten, so dass wir heute wöchentlich noch 200 Lebensmitteltaschen ausliefern.

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Gibt es denn die klassische Lebensmittelausgabe noch?

Schreyer: Ja, aber in anderer Form. Wer Bedarf hat, kann sich bei uns unter der Rufnummer: 0208/459530 oder per Mail an: fuhrpark@diakonie-muelheim.de anmelden und an maximal zwei Tagen pro Woche jeweils eine Lebensmitteltasche erhalten. Das hat den Vorteil, dass wir die Lebensmittelspenden besser streuen können und nicht immer die gleichen Menschen mehrfach etwas bekommen, während andere leer ausgehen. Um keine Warteschlangen entstehen zu lassen, vergeben wir die Ausgabe-Termine im Fünf-Minuten-Rhythmus.

Im März sollen die Corona-Schutzregeln wieder gelockert werden. Kehren Sie dann zu Ihrer Vor-Corona-Praxis zurück?

Schreyer: Nein. Wir behalten die Terminvergabe nach Anmeldung bei, weil sich das bewährt hat, ebenso, wie das diakonische Prinzip, dass wir die Bedürftigkeit der Menschen, die zu uns kommen nicht überprüfen, weil wir als Tafel kein Instrument der staatlichen Sozialpolitik sind und davon ausgehen, dass jeder, der sich für bedürftig hält, auch bedürftig ist.

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Was wird nach Corona anders?

Schreyer: Wir trauen uns zu, dass wir mit unseren zwölf Tafel-Mitarbeitenden Abholtermine im Ein-Minuten-Takt anbieten können. Wenn viele Kunden kommen, könnten wir vielleicht auch einen 30-Sekunden-Takt schaffen.

Hat die Zahl der Tafel-Kunden in der Corona-Pandemie zugenommen?

Schreyer: Eindeutig ja, auch wenn wir keine Strichlisten führen und ich Ihnen keine konkreten Vergleichszahlen nennen kann. Aber wir sehen hier viele neue Gesichter, auch Menschen, die offensichtlich erwerbstätig sind, bei denen das Geld aber einfach nicht reicht. Wir haben hier Kunden, die aus allen Generationen und Nationalitäten kommen.

Über die Mülheimer Tafel

Das Diakoniewerk Arbeit und Kultur betreibt die Mülheimer Tafel seit 2000 in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt und mithilfe des spendenbereiten Mülheimer Einzelhandels.

Die Mitarbeitenden der Tafel, die auch bedürftige Grundschüler mit einem Schulfrühstück versorgen, kommen, wie ihre Kollegen aus den anderen Arbeitsbereichen des Diakoniewerkes, wie der Upcycling-Möbelwerkstatt, im Rahmen von zeitlich befristeten Arbeitsförderprogrammen der öffentlichen Hand zum Diakoniewerk.

Warum?

Schreyer: Viele arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen, haben durch die Pandemie ihre Arbeit, etwa in der Gastronomie, verloren oder müssen mit dem geringeren Kurzarbeitergeld über die Runden kommen. Außerdem steigen die Lebensmittel- und Energiepreise. Da geht es denjenigen, denen es schon vor der Pandemie schlecht ging, jetzt noch schlechter. Unsere Kunden sind Menschen, die keine Lobby haben. Sie fallen auch in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur hinten runter, obwohl sie bereit sind, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten und einen sinnvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten wollen.

Was könnte Ihren Kunden das Leben leichter machen?

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Schreyer: Wir müssen uns als Menschen in unserer Gesellschaft wohlwollender gegenübertreten und im Anderen nicht den Fremden sehen, mit dem wir nichts zu tun haben, sondern einen Menschen, mit dem wir viel mehr gemein haben, als wir auf den ersten Blick glauben. Konkret wäre es schön, wenn sich Stadt, Kirchen und Wirtschaft an einen Tisch setzen und eine Lösung für die Menschen finden, an denen immer auch eine ganze Familie hängt und die uns viel zu geben haben, auch wenn sie auf dem ersten Arbeitsmarkt vergessen und abgehängt werden, weil dort die niederschwelligen Jobs wegrationalisiert worden sind. Wir sollten nicht vergessen, dass Steuergelder gut angelegt sind, die soziale Teufelskreise der extremen Chancenungleichheit durchbrechen und dafür sorgen, dass Menschen ein sinnvolles Ausbildungs- und Arbeitsangebot finden. Denn nur so können sie sich als Teil unserer Gesellschaft erleben und sich deshalb auch an ihre Regeln halten. Das schafft soziale Stabilität und Lebensqualität, von der wir alle profitieren.